Das Interview mit Hans Rudolf Reust, dem
Präsidenten der eidgenössischen Kunstkommission, erfolgt vor dem Hintergrund
einer nach wie vor schwierigen finanziellen Situation von KünstlerInnen,
Initiativen, Projekt- und Kunsträumen, die eine Praxis verfolgen, welche nicht
in erster Linie (verkäufliche) Werke produziert, sondern stattdessen oftmals
nicht materielle, Recherche basierte, partizipatorische und/oder kommunikative
Ansätze favorisiert, welche Wissen generiert. Wie in unserem Text Zwischen den Stühlen – oder die
Notwendigkeit über neue Ansätze von Kulturförderung nachzudenken (ein nicht
geforderter Abschlussbericht) ausgeführt, wird diese Situation
zusätzlich dadurch verschärft, dass während viele Kunst- und
Kulturförderungsinstitutionen nach wie vor hauptsächlich den Transport von
fertigen Werken und die Reise- und Übernachtungskosten von KünstlerInnen im
Zusammenhang mit der Vernissage unterstützen, während andere staatliche Stellen
und Stiftungen ihre bisherigen Basisfinanzierungen, welche auch teilweise die
Finanzierung von Produktionen ermöglichten, umstellen. Eine dieser Stellen, die
dabei sind ihre Förderungsstrukturen umzubauen ist das Schweizerische Bundesamt
für Kultur (BAK). Unter dem Förderschwerpunkt „Jahressubventionen an
unabhängige Kunsträume und wiederkehrende Veranstaltungen von überregionaler
Bedeutung“ wurden bisher jährlich Beiträge gesprochen, die zwar nicht hoch
waren, dennoch aber ein gewisses Mass an Planungssicherheit versprachen, gerade
auch, weil die Mittel nicht unmittelbar Zweck gebunden waren und somit auch zum
Beispiel für Produktionen verwendet werden konnten. Anfang 2008 wurde diese
Form der Jahressubventionen eingestellt. Dieser Schritt wurde damit begründet,
dass sie in Zukunft durch „andere Förderungsmassnahmen“ ersetzt werden sollten,
da „die stetig wachsende Anzahl von regionalen Kunsträumen und ihre in vielen
Fällen verbesserte finanzielle Ausstattung, ein weiteres Engagement des BAK
unter dieser Form für nicht mehr sinnvoll erscheinen“ lassen. „Im Gegenzug wird
im 2009 gemeinsam mit der Stiftung Julius Bär erstmals der Swiss Exhibition Award
vergeben werden. Weitere Fördermassnahmen für den Bereich der Kunstvermittlung,
sind in Diskussion mit der Eidgenössischen Kunstkommission und werden zu
gegebener Zeit veröffentlicht.“
Da wir und auf Grund von Gesprächen mit
KollegInnen die Einschätzung von der „verbesserten finanziellen Situation“
nicht teilen, und die Konzeption des Swiss Exhibition Award in seiner Fokussierung auf medial
verstärkte Öffentlichkeitswirkung problematisch finden, haben wir versucht
gemeinsam mit Andrea Thal vom Projektraum „les complices*“ eine Diskussion über
diese Verschiebung der Förderschwerpunkte zu lancieren. In einem Offenen Brief,
welchen wir sowohl an andere Kunsträume als auch das BAK geschickt haben,
wurden Vorbehalte, Kritik und Argumente formuliert, denen sich viele unserer
KollegInnen anschliessen konnten, die aber auch ergänzt und teilweise
hinterfragt wurden. Das BAK äusserte sich auf den Offenen Brief in einer
freundlichen Email, in der unter anderem dargelegt wurde, dass „das ehemalige Budget
"Jahressubventionen" (220'000 CHF) auch für dieses Jahr eingestellt
sei und zweckdienlich verwendet werden soll; beim "Swiss Exhibition
Award" handelt es sich um eine neue, parallele Veranstaltung, die
zusätzlich als Vermittlungsauszeichnung hinzugekommen ist, den
"Nachfolger" der Jahressubventionen aber weder ersetzen noch
budgetmässig belasten wird.“ Mehr konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mitgeteilt
werden, da die Konzepte erst auf einer Sitzung der Kunstkommission Ende Januar
besprochen werden sollten. Das ebenfalls freundliche Angebot die begonnene
Diskussion fortzusetzen und für weitere Fragen zur Verfügung zu stehen, möchten
wir an dieser Stelle im Folgenden aufgreifen und den Präsidenten der
eidgenössischen Kunstkommission Hans Rudolf Reust zum Stand der Planungen
befragen.
Sønke Gau/Katharina Schlieben: Sehr geehrter Herr Reust, wie in dem Offenen Brief und auch in der Einleitung zum Interview nochmals formuliert, wurden die Kunsträume, die 2008 vom BAK durch Jahressubventionen ein letztes Mal gefördert wurden, schriftlich davon in Kenntnisgesetzt, dass diese Form der Unterstützung in Zukunft nicht mehr fort geführt werde. Auf der Website des BAKs war bis vor einigen Wochen zu lesen, dass „im Gegenzug im Jahr 2009 erstmal der Swiss Exhibition Award vergeben werde“ – diese Formulierung hat für einige Irritation gesorgt, da der Eindruck entstand, die Jahressubventionen sollten durch einen hoch dotierten Preis ersetzt werden, der aber nur einer Institution zu Gute käme. Nun ist ja mittlerweile richtig gestellt worden, dass der Preis zusätzlich ausgeschrieben wird, die Mittel der Jahressubventionen aber weiterhin zweckdienlich verwendet werden sollen. Könnten Sie uns beschreiben, welche Überlegungen zur Änderung der Vergabepraxis geführt haben, wie das neue Modell aussieht und welchen Mehrwert Sie sich von diesen Änderungen versprechen?
Hans
Rudolf Reust: Zunächst möchte ich mich für die
irrtümliche Wendung auf der Website des Bundesamtes für Kultur entschuldigen.
Sie hat unnötige Aufregung verursacht. Inzwischen sind jedoch die Basics
geklärt: Das BAK wird weiterhin jedes Jahr den genannten Betrag zur Förderung
der institutionellen Vermittlung einsetzen. Der Swiss Exhibition Award versteht sich daneben als
zusätzliche Initiative, als eine Private-Public-Partnership zwischen dem
Bundesamt und der Bank Julius Bär, um den Diskurs über die Formen des
Kuratierens zu vertiefen. Bei der Unterstützung der Kunstorte haben sich die
Eidgenössische Kunstkommission und das BAK in der Tat entschieden, den Modus der
Geldvergabe zu ändern: Neu werden jährlich neun Preise zu CHF 20'000.-
vergeben, und max. sechs Preise zu CHF 5000.- für Newcomer, die weniger als 4
Jahre bestehen (Details s.
www.bak.admin.ch/bak/themen/kulturfoerderung/00456/00457/02246/index.html?lang=de).
Dies bedeutet eine klare Reduktion der Anzahl von Preisen. Wir durften nämlich
feststellen, dass sich in den letzten Jahren die Anzahl der Eingaben nahezu
verdoppelt hat (2002: 26 / 2008: 59) – an sich eine höchst erfreuliche
Entwicklung! Für die einzelnen Orte ist die Zuwendung damit nominell stark
gesunken, das ist reine Mathematik. Mit dem Betrag sank aber vor allem auch die
Sichtbarkeit der Unterstützung. Der Staat Schweiz kennt nicht die Mittel, um
Kunst oder Architektur systematisch oder schon nur repräsentativ zu fördern.
Die weitaus grösste Förderung wird ohnehin in den Gemeinden und Kantonen
geleistet. Nach Ansicht der Kunstkommission soll das Geld des Bundes, das
allemal nur für eine exemplarische
Förderung ausreicht, auch mit der grösstmöglichen Sichtbarkeit versehen sein,
um wenigsten doppelt zu wirken: als Betrag und als symbolische Auszeichnung,
die in der Werbung bei weiteren staatlichen und privaten Quellen eingesetzt
werden kann.
Gau/Schlieben:
Es werden zurzeit ja an verschiedenen Stellen
neue Fördermodelle diskutiert. In dem meisten Fällen handelt es sich um drei
unterschiedliche, die wir zusammenfassend als „Giesskannenförderung“,
„Leuchtturmförderung“ und „Preisvergabeförderung“ benennen möchten. Erstere
bedenkt möglichst viele Institutionen mit geringen Beträgen, die zweite möchte
Institutionen mit nationaler und im besten Fall internationaler „Strahlkraft“
unterstützen und stellt ihnen dafür mehr Mittel zu Verfügung und letztere setzt
auf Wettbewerb der Institutionen untereinander aus der die „beste“ hervorgehen
soll und dafür ein relativ hohes Preisgeld erhält. Generell ist eine Bewegung
hin von der „Fläche“ zu „Leuchttürmen“ oder Preisvergaben zu verzeichnen. Das
BAK und die eidgenössische Kunstkommission haben sich, wenn wir es richtig
verstanden haben, für eine Kombination der beiden letztgenannten
Förderinstrumente entschieden. Uns stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage
nach den Kriterien, mit denen „Leuchttürme“ und die „beste Schweizer
Ausstellung“ identifiziert werden sollen, da die Meinungen darüber sicherlich
weit auseinander gehen. Könnten sie uns diese benennen?
Reust: Eure Darstellung des Möglichkeitsfeldes ist hilfreich. Bei der Beschreibung unseres Hybrids möchte ich allerdings die Kategorien zwei und drei neu verknüpfen: die Preisvergabe sollte zur landesweiten Ausstrahlung von Kunstorten beitragen. Es sollte etwas bedeuten, diesen Preis zu erhalten, vor allem auch, ihn mehrfach in Folge zu erhalten. Wir haben uns nach einigen Gesprächen an der Basis entschieden, einen Preis zu vergeben, dessen Summe frei verwendet werden kann: für ein bestimmtes, ausserordentliches Projekt, für eine künstlerische Produktion oder eine Publikation, oder genau für jene Aufwendungen, die kein Sponsor gerne unterstützt: Telefon und Strom. Kriterium für die vergleichende Bewertung durch die Kunstkommission soll daher nicht nur ein allgemeines Jahresprogramm oder eine ganz spezielle Projekteingabe sein, sondern die kuratorische Haltung und ihre reflektierte Weiterentwicklung von einem Jahr zum nächsten. Das geforderte mission statement lässt sich in seiner ganz eigenen Dynamik verstehen und mit anderen Haltungen vergleichen. Vor diesem Hintergrund werden auch kleinere und grössere Orte qualitativ vergleichbar.
Gau/Schlieben: Die Schweiz verfügt über ein grosse Vielfalt von kleineren und teilweise selbst organisierten Kunst- und Kulturräumen, die in den meisten Fällen nicht „profitabel“ sind, sondern mit viel Engagement und teilweise unbezahlt betrieben werden. Auch wenn die bisherigen „Jahressubventionen“ nicht besonders hoch waren, so waren sie doch Ausdruck einer Wertschätzung der an diesen Orten geleisteten Arbeit und haben zumindest eine geringe Planungssicherheit ermöglicht. Wie wollen sie vermeiden, dass sich die Situation dieser Kunsträume weiter verschlechtert gerade in einer Zeit, in der zusätzliche Unterstützungen von privaten Stiftungen auch rückläufig sind?
Reust: Die Kunstorte sind auf keinen Fall überdotiert, nirgendwo in der Schweiz. Ohne viel Gratisarbeit, die so nett mit „Idealismus“ umschrieben wird, geht tatsächlich nichts. Und mit dem drohenden Einbruch der privaten Förderung und den entsprechenden Ausfällen bei den Kommunen dürfte die Situation noch schwieriger werden. Generell von einer „verbesserten finanziellen Ausstattung“ der Kunsträume zu sprechen, wäre zynisch. Eine differenzierte Betrachtung der Finanzen allerdings zeigt grosse Unterschiede zwischen den Orten und zwischen den Regionen. Einzelne Alternativräume werden überhaupt nicht unterstützt, andere sind inzwischen zu Institutionen mit erheblicher kommunaler oder kantonaler Unterstützung geworden. Es gibt Kunsträume, die mit ihren Budgets nahe an die öffentlichen Kunsthallen heranreichen. Andere können wenigstens die Räume gratis beziehen oder die kommunale Kommunikationsinfrastruktur nutzen. Allein aufgrund der Finanzierungsstrukturen ist ein Vergleich daher kaum möglich. Der bisherige Modus mit einer wachsenden Anzahl an Kleinstbeiträgen mag zwar berechenbar gewesen sein; unter demselben Label wurden aber höchst unterschiedliche Wirkungen erzielt. Der neue Modus soll es erlauben, die kuratorischen Ansätze mit den jeweiligen Ressourcen zu vergleichen und untereinander in Beziehung zu setzen. Der Bund wird in Zukunft nur noch Aktivitäten von „landesweiter“ Ausstrahlung unterstützen dürfen, so will es das Parlament. Diese Kategorie gilt es produktiv zu interpretieren: Wer innovative Ansätze erprobt oder wer, gut verankert und vernetzt, eine Szene vor Ort aufbaut, verdient durchaus „landesweite“ Anerkennung. Besser als die solitäre Seefahrtsmetapher des „Leuchtturms“ gefällt mir eigentlich die Wahrnehmung von Bühne und Spotlight, die ein Preis bieten soll. Dabei haben die Medien lange eine hilfreiche Rolle gespielt. Nun gehen im Kulturjournalismus die Lichter aus. Wir suchen nach Möglichkeiten, um die Sichtbarkeit der Kunstorte und den Diskurs über ihre Arbeit während der Basler Plattform zu erhöhen. Für Ideen sind wir gerne offen. Letztlich sollten wir die Preise für individuelle Vermittlung mit der Förderung für Kunstorte verbinden – was ja oft auch in der Praxis schwer zu trennen ist. Fazit: Deutlichkeit und Sichtbarkeit von Preisen bringen letztlich allen mehr als tendenziell kein Geld für alle.
Gau/Schlieben: Aus unseren Erfahrungen ist eines der grössten Probleme, dass viele Institutionen und Stiftungen immer noch von einem Kunstbegriff ausgehen, der abgeschlossene, materielle Werke voraussetzt, die „nur“ noch von A nach B transportiert werden müssen. Viele der interessanten Kunstpraxen produzieren aber schon lange keine Werke im klassischen Sinn mehr, sondern lassen sich eher als „Wissensgenerierung“ mit künstlerischen Mittel umschreiben. Recherche basierte, kommunikative und partizipatorische künstlerische Projekte, die versuchen Öffentlichkeiten herzustellen benötigen oft ein längere Vorlaufzeit, welche die Anwesenheit der KünstlerInnen vor Ort notwendig macht und finanzielle Mittel für die Produktion und Postproduktion (Vermittlung) voraussetzt. Gerade diese Praxen sind auf Grund ihrer häufig nicht vorhandenen Kompatibilität mit dem Kunstmarkt auf andere Unterstützung angewiesen. Wir sehen gerade an dieser Stelle einen dringenden Handlungsbedarf. Teilen Sie diese Einschätzung und wie sehen Sie diesbezüglich die Neuausrichtung der Förderpraxis des BAKs?
Reust: Objektbasiert oder recherchenorientiert – ist diese Unterscheidung künstlerisch wirklich so haltbar? Ich teile Eure Einschätzung insofern, als sich gegenwärtig auch unter den über 570 Eingaben der Swiss Art Awards wieder mehr und sehr spannende Arbeiten im Status von Prozessen finden. Unser neuer Fokus auf Selbstdarstellung und –reflexion der kuratorischen Praxis schliesst solche Ansätze keinesfalls aus; er könnte mit spitzer Zunge sogar als ein Zuspiel für diskursorientierte Arbeitsweisen und „Wissensgenerierung“ gelesen werden. Letztlich hat aber nicht die Kommission über die Kunstpraxis zu entscheiden. Wir sind kein Organ der inhaltlichen Lenkung, sondern verstehen uns als eine Kraft der scharfen Wahrnehmung und Verstärkung vorhandener Energien im Land – mitunter auch komplementär zu den erfolgreichen Strukturen im Kunstmarkt. Mit dem angekündigten Jurybericht nimmt sich die Kommission schliesslich selber in Pflicht. Auch sie wird ihre spezifische Auswahl begründen müssen.