Übersetzung des zuerst auf englisch veröffentlichten Teils des Textes: Jens Kastner
Die Impressionisten des Paris der 1860er und 1870er Jahre forderten die künstlerischen Orthodoxien heraus, brachten sie zu Fall und ebneten dadurch der ästhetischen Moderne den Weg. - So oder ähnlich steht es geschrieben in den Standardwerken der hagiographischen Literatur über Kunst wie auch in den Schriften einiger bekannter Kritiker und Intellektueller. Laut Clement Greenberg waren die Bilder Manets die ersten modernistischen Gemälde, indem sie Flachheit und Zweidimensionalität betonten.[1] Michel Foucault griff diese formalistische Interpretation auf und erweiterte sie, indem er erklärte, die Art und Weise, in der Manets Bilder den materiellen Aspekt der Oberfläche repräsentierten, habe die gesamte Kunst des 20. Jahrhunderts erst möglich gemacht.[2] Im Unterschied dazu haben sozialgeschichtlich orientierte Kunsthistoriker wie T. J. Clark das Aufkommen modernistischer Malerei in Paris auch als Antwort auf die Erfahrung der Moderne verstanden – auf die entmenschlichenden Aspekte des Lebens im Kapitalismus in ihrer Verbindung mit dem Verlust von Gewissheiten hinsichtlich des Aktes der Repräsentation.[3] Trotz aller Unterschiede in den Interpretationen gibt es eine gemeinsame Tendenz. Von all diesen Autoren wird die Rolle Manets hervorgehoben, dem zugerechnet wird, die Malerei auf einen neuen Kurs gebracht zu haben. Diese Sicht wird auch von Pierre Bourdieu geteilt, wenn er schreibt: „Der revolutionäre Held, der Befreier, ist ohne Zweifel Manet. Die Revolution zu verstehen, die Manet bewirkt hat, bedeutet auch, die Geburt des modernen Künstlers und der modernen Malerei zu verstehen.“[4] Er interpretiert diese Revolution als eine symbolische, als eine Revolution mentaler Strukturen, in der die Hierarchie von Signifikant und Signifikat und die Art und Weise zu repräsentieren auf dem Spiel steht, die Funktion der Malerei, aber auch unsere Sicht der Welt insgesamt. Zudem streicht er heraus, dass die von Manet angeführte impressionistische Revolution auch ein anderes Verständnis des Künstlers ausgelöst hat: Er hörte auf, ein Meister zu sein und wurde zu einem Künstler im modernen Sinne, mit einer außergewöhnlichen Biografie und der gefeierten Singularität des Außenstehenden. Aus der Sicht Bourdieus war es Manet, der die Position des autonomen Künstlers erfand. Er trug entscheidend dazu bei, den relativ autonomen Status des künstlerischen Feldes herbeizuführen, den es in einer langen Bewegung, die bis in die Renaissance zurückreicht, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erlangte. Mit Blick auf Manet hebt Bourdieu zudem hervor, dass historische Figuren wichtige Funktionen in gegenwärtigen Debatten einnehmen können: „Die literarischen und malerischen Werke der Vergangenheit sind stets die Einsätze in den Kämpfen der Gegenwart.“[5] Deshalb ist es auch kein Zufall, dass seine Lobrede auf Manet kurze Zeit nach der Eröffnung des Museé d'Orsay in Paris (1986) gehalten wurde. Diese von Valéry Giscard d´Estaing initiierte Einrichtung, ein „Präsidenten-Museum“ in der Chronologie zwischen Pompideaus „Centre Beaubourg“ und Chiracs Musée Quai Branly situiert, wurde der Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewidmet. Innerhalb der kulturellen französischen Linken dieser Zeit wurde es als Versuch aufgefasst, die akademische Kunst – in Frankreich auch als „art pompier“ verspottet – zu rehabilitieren, eine Kunst, die zuvor von den Formalisten ebenso wie von der sozialhistorisch orientierten revisionistischen Kunstgeschichte und Kunstkritik marginalisiert worden war.[6] Zu diesen akademischen Malern zählten etwa, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, Jean-Louis-Ernest Meissonier, heute kaum noch bekannt, aber unter den lebenden Künstlern im 19. Jahrhundert derjenige, der die höchsten Preise am Markt erzielte; Jean-Leon Gérome, Akademie-Mitglied, das die Impressionisten bis in die 1890er Jahre hinein bekämpfte; oder auch Alexandre Cabanel, dessen Naissance de Venus von Napoleon III aus jenem Salon des Jahres 1863 persönlich angekauft wurde, aus dem Manets Déjeuner sur l’herbe verbannt worden war.[7] Der Akademismus, der die Akademie, die École des Beaux Arts, den Salon, das Feuilleton und den breiteren Publikumsgeschmack dominierte, war am Ausführen von Kopien, an Konformität gegenüber der Tradition und an einer klaren Hierarchie legitimer Sujets und Gegenstände orientiert. Ganz oben in der Hierarchie der Legitimität stand das Historienbild, das sich auf die französische Geschichte, auf griechisch-römische Mythologie, auf religionsgeschichtliche Themen oder auch auf den Orient beziehen konnte, niedrig bewertet waren Landschaften, Stilleben und Porträts.[8] Dabei hatte sich die technische Umsetzung dem Thema unterzuordnen. Individuelle Ausdrucksformen waren nicht gefragt. Das Prinzip der Linie herrschte über die Farbe. Bilder des Akademismus sind häufig allegorisch und anekdotisch angelegt, d. h. sie wollen eher gelesen als visuell wahrgenommen werden, beziehen sich weniger auf die Geschichte der Kunst, als auf die Geschichte oder auch auf die als „geschichtsfrei“ interpretierte Welt, um eine Distanz zur Gegenwart herzustellen. Auch allegorisch neutralisierte erotische Bilder – ein Genre in dem Cabanel und Bouguereau eine Meisterschaft entwickelt hatten – erfreuten sich im Salon großer Beliebtheit. Die Malerei war insgesamt an Präzision, Perfektion und Vollendung orientiert, die Künstler deshalb auch eher austauschbar. Der akademische Künstlertypus wurde von Bourdieu demgemäß im Anschluss an Max Webers Typologie als „priesterlich“ eingestuft, im Gegensatz zu dem an Neuerung orientierten „prophetischen“ Typus, wie ihn etwa Manet und ein Teil der Impressionisten repräsentierten, insbesondere Monet und Degas. In der Errichtung eines Museums, das diesen priesterlich orientierten Typus von Malern aufzuwerten drohte, sah Bourdieu ein allgemeineres Anliegen am Werk, als bloß die Rehabilitierung einer solchen von ihm als „scholastisch“ eingestuften Kunst. Er interpretierte es als den Versuch, den Typus des „homo academicus“, verstanden als eine zum akademischen Maler homologe Figur, im universitären Feld aufzuwerten.[9] Im Hinblick sowohl auf die Einordnung von Akademismus und Impressionismus, als auch auf die Bedeutung historischer Figuren und Positionen für gegenwärtige Diskurse möchte ich im Folgenden die Aufmerksamkeit auf die Schriften des US-amerikanischen Autors Harrison C. White legen und lenken. White hat sowohl im Bereich der Impressionismus-Forschung einen Namen, als auch im Feld der Sozialwissenschaften, in dem er heute sogar „von vielen als größter lebender Soziologe betrachtet“ wird.[10] Im Kunstdiskurs ist Harrison C. White vor allem für seine Studie über die institutionellen Veränderungen innerhalb der französischen Kunstwelt des 19. Jahrhunderts bekannt, die er in den frühen 1960er Jahren gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Cynthia White geschrieben hat.[11] Diese Studie mit dem Titel Canvases and Careers hat für die Einführung des Konzeptes des „Händler- und Kritiksystems“ ebenso Beachtung gefunden wie für die Beschreibung und Erläuterung des Aufkommens des Institutionensystems moderner Kunst bzw. der Anfänge eines vom Staat weitgehend gelösten Kunstmarktes im heutigen Sinn. Innerhalb der Soziologie wird White als jemand betrachtet, der die Netzwerk-Theorie eingeführt und Entscheidendes zur Entwicklung der ökonomischen Soziologie beigetragen hat. Sein theoretisches Hauptwerk Identity and Control wurde 1992 veröffentlicht. Allerdings ist es in einem solch schwierigen und idiosynkratischen Stil verfasst, dass kaum jemand es verstanden hat. Auf diese Weise konnte es den Status eines Intelligenztestes für SoziologInnen erlangen.[12] Ein Nebenprodukt dieses Werkes ist Whites zweites Buch über Kunst, welches 1993 publiziert wurde. Allein dessen Titel, Creativity and Careers, weist schon darauf hin, dass es jener sozialwissenschaftlichen Literatur zuzurechnen ist, die ein Interesse an Innovation und Kreativität und deren Rolle und Funktion für ökonomische Prozesse hat. Insbesondere in den späten 1990er entstand geradezu eine Welle von Veröffentlichungen über „Creative Industries“, „Creative Cities“ usw., nachdem dieses Thema von Tony Blair und den ImageberaterInnen des „Dritten Weges“ aufgegriffen und über programmatische Formeln wie „Innovation und Kreativität“ so massiv lanciert worden war, dass es sich – auf der Woge des umfassenderen Diskurses über die „wissensbasierte Ökonomie“[13] – international ausbreiten konnte. Whites zweites Buch über Kunst wurde veröffentlicht, bevor diese Flut an Creative-Industries-Literatur aufkam und lange bevor Leute wie beispielsweise Richard Florida dieses Thema populär machten. Obwohl er keineswegs der Pop-Soziologie und -Ökonomie des von Florida und der gängigen Creative-Industries-Literatur repräsentierten Typs zugerechnet werden kann, weist Whites wissenschaftlicher Ansatz nichtsdestoweniger in mancherlei Hinsicht Ähnlichkeiten damit auf, so z. B. bezüglich a) der angenommenen ökonomischen Bedeutung von Kreativität, b) des unkritischen Gebrauchs des Kreativitätsbegriffes, c) der Position gegenüber der Differenzierung in hohe und niedere Kunst, für die aus seiner Sicht die gleichen sozialen und ökonomischen Gesetze im Hinblick auf Innovationen gelten, und bezüglich d) der Behandlung des Gegensatzes von Kunst und Ökonomie, der, im Unterschied zu Bourdieus Sichtweise, welche die Gegensätze zwischen diesen Feldern unterstreicht, negiert wird. Auch das Vertrauen in die Idee einer „Kunstwelt“ in der Tradition Howard S. Beckers stellt eine Parallele dar. Dieses Konzept impliziert, dass die verschiedenen, in die Produktion, die Distribution und die Rezeption von Kunst eingebundenen Akteure prinzipiell mehr oder weniger von gleicher Wichtigkeit sind, was wiederum den Autor oder Künstler dezentriert. Während dieses Konzept normalerweise dazu dient, den kollektiven Charakter der künstlerischen Produktion zu unterstreichen, ist es in Whites Ansatz speziell mit dem Versuch einer Aufwertung und geradezu einer Feier der Rolle ökonomischer Akteure innerhalb der Kunstgeschichte verbunden. Diese erscheinen für künstlerische Neuerungen letztlich genauso wichtig wie die Künstler selbst. Derartige Überlegungen werden in einer Reihe von allgemeineren Propositionen über Innovation in der Kunst reflektiert. An dieser Stelle möchte ich nur drei davon zitieren und diskutieren: „Eine Erneuerung des Stils umfasst Veränderungen in der sozialen Organisation, die mit kulturellen Veränderungen in der Kunstwelt einhergehen.“ [14] Die künstlerische Innovation als solche ist so gesehen weit davon entfernt, wesentliche Veränderungen in der Kunst auszulösen. Während in Kunstgeschichte und Philosophie meist ästhetische oder symbolische Aspekte als entscheidend für Veränderungen des Stils betrachtet werden, klang bereits in der älteren Studie Canvases and Careers an, dass stilistische und institutionelle Veränderungen Hand in Hand gehen müssen, damit radikale Neuerungen auftreten können. White diskutiert diese These in seiner neueren Arbeit hauptsächlich im Hinblick auf Impressionismus und Abstrakten Expressionismus, den er somit in der Tradition Greenbergs in eine enge Beziehung mit dem Impressionismus bringt. Er nimmt aber auch auf Beispiele zu Innovationen in Musik, Tanz und Theater, den populärkulturellen Bereich eingeschlossen, Bezug. White unterstreicht, dass grundsätzliche Verschiebungen im „Stil“ großen und anhaltenden Aufwandes bedürfen. Sie setzen soziale und ökonomische Absicherung ebenso voraus wie Veränderungen innerhalb der sozialen Organisation der Kunst, also innerhalb ihres institutionellen Rahmens. Diese Argumentationsfigur macht das zentrale Thema der frühen Studie der Whites über „Leinwände und Karrieren“ aus, die im Wesentlichen eine Geschichte eines alten Systems darstellt, das nach einer Phase des Ineinander-Über-Gehens und der Vermischung durch ein neues ersetzt wird. Diese Hybridisierungsthese hinsichtlich des “Innovations-Prozesses“ in Feldern der kulturellen Produktion liest sich wie folgt: „Ein neuer Stil resultiert aus einer Zwischenphase der Überlappung und des Verschmelzens eines Stils mit einem anderen sowohl innerhalb sozialer als auch kultureller Infrastrukturen; der neue Stil erwächst aus der Ablehnung der getrennten Stile, die in seine Formierung eingeflossen waren und sich dann verselbständigt haben.“[15] Speziell hervorgehoben werden in dieser Prozesshypothese die Überlagerung und die Phase der Koexistenz zwischen einem früheren und einem neu auftauchenden System in Prozessen, die sowohl soziale als auch künstlerische Aspekte umfassen. Ein Indikator der Neuigkeit eines Stils ist dabei die Zurückweisung und Denunziation durch die etablierte Kritik. Der alte Stil gehörte dem „akademischen System“ an, welches staatlicher Kontrolle unterstand. Dieses System erwies sich als unfähig, flexibel auf die Veränderungen in seiner Umwelt zu reagieren. Es war insbesondere nicht auf den dramatischen Anstieg der Zahl der Künstler im Paris des 19. Jahrhunderts und auf die Flut an Bildern vorbereitet, die vom zentralen Ausstellungsort und Marktplatz für Kunst, dem Salon, bewältigt werden mussten. Dieser Salon lockte zu jener Zeit, als die technischen visuellen Massenmedien noch nicht existierten, Hunderttausende von Besuchern und Besucherinnen an.[16] Die Krise, in welche die Akademie und der Salon gerieten, ergab sich gemäß der morphologischen These von White und White aus dem Erfolg des Systems selbst, da der Malerberuf symbolisch und ökonomisch immer attraktiver wurde. Heute wissen wir dank der Studie von Andrée Sfeir-Semler noch besser über diese morphologischen Veränderungen Bescheid, als zu der Zeit, als Canvases and Careers erstmals erschien. Lag die Zahl der Maler bei den Salonausstellern zu Anfang des 19. Jhts noch bei rd. 200, so stieg sie bis 1863 auf ca. 1300 an. Die Zahl der für den Salon eingereichten Bilder wuchs in den 1860er und 1870er Jahren auf zwischen 4000 und 6000 an.[17] Diese Entwicklung erzeugte, so lautet jedenfalls die Spezifikation der notwendigen Bedingung für die Veränderungen bei White und White, enormen Druck für einen organisatorischen und ökonomischen Rahmen, der für einige hundert Maler gedacht war. Wie die Whites weiterhin herausarbeiten, war die Akademie eine starre Organisation, sozial geschlossen und in der Hand einer kleinen Gruppe. Sie bildete eine Hierarchie ohne Basis und ohne Verbindungen zur gesamten Künstlerschaft. Zu einem Zeitpunkt, an dem es notwendig gewesen wäre, die Mitgliedschaft zu erweitern und die auf Paris konzentrierte Struktur zu dezentralisieren, erwies sich das System dazu nicht in der Lage. Es konnte deshalb seinen Untergang nicht aufhalten. Der von der Akademie kontrollierte Salon funktionierte als nationale Kunstmaschine zur Anwerbung von Malern von Gemälden und auch als Medium von Unterhaltung und politischer Propaganda. Er versagte jedoch als eine Organisation zur Unterstützung und Steuerung von Malerlaufbahnen. Eine große Zahl von Künstlern wurde in die prestigeträchtige Laufbahn der Malerei gelockt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Art Leitkunst aufgestiegen war. Das System bot jedoch keine Notluke, die im Falle von Blockaden oder Scheitern Alternativen eröffnet hätte. Im Salon zurückgewiesen zu werden bedeutete angesichts des weitgehenden Monopols, das diese Kunstmesse de facto hatte, zugleich eine ökonomische Katastrophe. Vor dem Hintergrund der Krise des akademischen Systems, seines Versagens bei der Unterstützung und Steuerung von Malerlaufbahnen und der Unzufriedenheit mit den Zurückweisungen auf Grund eines zu starren Kunstbegriffs sind die Anfänge des Impressionismus in den 1860er Jahren anzusetzen. Als Bewegung trat er ab 1874 mit dem Kampfmittel auf, Ausstellungen selbst zu organisieren und das Monopol des staatlichen Salons zu brechen, was schließlich auch gelang.[18] Diese Ideen wurden wahrscheinlich in jenem „Kreis von Batignolles“ geboren, auf den sich Fantin-Latours berühmtes Gruppenportrait aus dem Jahre 1870 bezieht, das Manet im Zentrum einer Gruppe von Künstlern in seinem Atelier zeigt, die ihn offenbar verehren – ein Kern der späteren Impressionisten, mit u. a. Bazilles, Monet und Renoir. In diesem Atelier kam 1869 wohl erstmals die Idee einer selbstorganisierten Gruppenausstellung auf. Manet selbst beteiligte sich letztlich an keiner der acht Impressionisten-Ausstellungen von 1874 bis 1886, weil er das Image eines Rebellen scheute und sich auch nicht zu eng mit den Impressionisten assoziiert sehen wollte.[19] Die Studie der Whites zeigt, wie ein bürokratisches und monopolistisches System unter bestimmten strukturellen Rahmenbedingungen erfolgreich von einem Netzwerk von Künstlern, Händlern, Kritikern und Sammlern attackiert wurde. Sie konnten mit ihrem Ansatz die bekannten Heldengeschichten der Kunsthistorie, die den Salon des Refusés, den von Manet errichteten eigenen Pavillon am Rande der Weltausstellung 1867 und die Reihe selbstorganisierter Gruppenausstellungen außerhalb des Salons in den 1870er und 1880er Jahren als mehr oder weniger entscheidende Ereignisse im Kampf zwischen der akademischen Malerei und den revolutionären „Malern des modernen Lebens“ hervorheben, um wichtige soziologische und sozialhistorische Einsichten erweitern. Den Whites zufolge wurde das neue System in intellektueller wie in ökonomischer Hinsicht durch eine neuartige, funktionale Ideologie gestützt, und zwar den Individualismus, oder, genauer, den charismatischen Individualismus. Statt einzelner Bilder, wie im alten, vom Salon beeinflussten System, wurden nun die einzelnen Künstlern in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Sowohl für den neuen Typus des Kunsthändlers – der erstmals als richtiger Unternehmer und „Galerist“ auftrat – als auch für die immer wichtiger werdende, in starkem Maße von Vertretern des literarischen Feldes getragene Kunstkritik schien es auf der Hand zu liegen, die Persönlichkeit und das Gesamtwerk eines Malers hervorzuheben. Als isoliertes Objekt war das einzelne Werk zu vergänglich, um als Fokus eines Systems von Handel oder Werbung zu dienen. Stattdessen erwies sich das in der Romantik entwickelte Konzept des Genies, das beinhaltete, verkannt zu sein, als geeignet, um sich auf die Person des Künstlers zu konzentrieren. Das Schicksal habe den künftigen Platz für den verkannten und verspotteten Manet im Louvre bereits festgelegt, so prophezeite etwa Zola, der zu den zahlreichen Schriftstellern gehörte, die sich zu jener Zeit über die Kunstkritik als Intellektuelle zu profilieren suchten.[20] Diese neue Sichtweise ermöglichte es nicht nur verkannten Künstlern, trotz mangelnder Anerkennung ihre Motivation aufrechtzuerhalten. Sie eröffnete zugleich die Möglichkeiten von Spekulationen mit dem Geschmack in einem ökonomischen Sinne und damit für die Entwicklung jenes letztlich hoch spekulativen Kunstmarktes, wie wir ihn auch heute kennen.[21] Für die Entwicklung eines neuen Systems waren allerdings noch weitere Faktoren ausschlaggebend, wie zum Beispiel die Veränderungen in Typ und Format künstlerischer Produktion. So wurde eine größere Zahl kleinerer, oft relativ schnell gemalter Bilder produziert, was wiederum durch den technischen Fortschritt im Bereich der Produktion von Farben erleichtert wurde. Diese Bilder nahmen den Platz der großen, geplanten „Maschinen“ des Akademismus ein. Zusätzlich erlangten neue Klassen von Käufern eine zentrale Bedeutung. Ein potenzieller Absatzmarkt für die Kunst in kleineren Formaten konnte in der sich ausweitenden Mittelklasse und vor allem in der reicheren Bourgeoisie bzw. unter den Aufsteigern in diese Klasse gefunden werden, da die Preise der Bilder professioneller Künstler auch zu dieser Zeit für Mitglieder der Mittelschichten nicht wirklich erschwinglich waren, wie aus den umgerechneten Preisangaben in der Studie von Watson hervorgeht.[22] Eine weitere zentrale Proposition von White nimmt darauf in allgemeiner Form Bezug, indem sie einen notwendigen Kontext für künstlerische Innovationen zu spezifizieren versucht. „Der Schlüssel zu Innovation in der Kunst liegt in der Flexibilität der Rezeption. Das heißt, ein Feld alternativer Rezeption muss nicht nur kulturell, sondern auch hinsichtlich materieller und sozialer Technologie ermöglicht werden.“[23] Dies verschiebt die Aufmerksamkeit weg von der künstlerischen Innovation als solcher hin zu jenen Protagonisten, die fähig sind, Wünsche und Vorlieben zu beeinflussen und solchen, die eine Nachfrage für innovative Kunst auftun oder schaffen. Prinzipiell kommen dafür alle möglichen Akteure der Kunstwelt in Frage – die Künstler selbst, Kritiker, Galeristen und Museumsleute. Flexible Rezeption wird von White gegen die Idee der Originalität von individuellen Schöpfern gesetzt, womit er die Bedeutung des „modernistischen Themas“ zu relativieren versucht, das zunächst den Künstler, später aber auch Künstlerinnen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. In diesem Kontext erfährt Whites Aufmerksamkeit jedoch eine merkliche Reorientierung von der ersten zur zweiten Studie über den Impressionismus, eine symptomatische Transformation von den 1960er zu den 1990er Jahren. Wie der Gebrauch des Begriffes „Händler- und Kritikersystem“ im ersten Werk zeigt, in dem die Händler die erstgenannten Protagonisten sind, betrachtete White diese schon damals als zentrale Akteure des neuen Systems. Bis zu den 1990er Jahren kam es allerdings nicht vor, dass White so weit ging, Formulierungen zu benutzen, die praktisch darauf hinauslaufen, einen ganz bestimmten Händler geradezu zu verherrlichen, nämlich Paul Durand-Ruel. White merkt in seiner jüngeren Studie ausdrücklich an, dass der Begriff „Händler-Kritiker-System“ als eine Hommage an Durand-Ruel zu verstehen sei. In Whites Perspektive erscheint Durand-Ruel nun nicht nur in Bezug auf die Anerkennung und die Etablierung des Impressionismus wichtig, sondern auch als die Figur, ohne welche die künstlerische Innovation letztlich unvorstellbar gewesen wäre. Für White schuf Durand-Ruel ein neues Rollenmodell des Kunsthändlers, das Modell des Galeristen als Unternehmer im modernen Schumpeterschen Sinne, als „Entrepreneur“. White schreibt ihm zu, dass er das spekulative Potenzial der Anschaffung von Werken unbekannter oder unentdeckter Maler erkannt habe und andere davon überzeugte, dass es sich dabei um eine profitable Investition handeln könnte. Er stellt ihn dabei als großzügig gegenüber anfänglich erfolglosen Künstler dar und schreibt, dass er durchaus die Rolle ihres Mäzens und Beschützers eingenommen habe. Darüber hinaus habe er neue Strategien angewandt, wie beispielsweise die Herstellung der Kontrolle über sämtliche Werke eines Künstlers, um damit ein Monopol zu gewinnen. In diesem Zusammenhang habe er auch informelle Kontakte mit den Künstlern gepflegt, um sie an sich zu binden. Und schließlich habe Durand-Ruel die Einzelausstellung für Künstler eingeführt, wie sie das „Händler- und Kritikersystem“ bis heute bestimmt. Laut White war er sich zudem der hohen Bedeutung von Öffentlichkeit und Werbung ganz bewusst. Diese Beobachtungen führten White über die gewöhnlichen Bemerkungen in der kunsthistorischen Literatur hinaus, die Durand-Ruel einfach als wichtigsten Galeristen der Impressionisten beschreibt. White gebraucht sogar Formulierungen, in denen Durand-Ruel zum „Vater“ des gesamten neuen Systems und schließlich zu einem „Genie“ mit einer Bedeutung jener Cézannes entsprechend erhoben wird: „Der eigentliche Kern des neuen Stils jedoch war immer dual. (…) Durand-Ruel war für genau diese duale Realisierung der Impressionisten zentral. Insofern kann er als Vater eines ganzen neuen Systems der Kunstwelt bezeichnet werden.“[24] Und in der Antwort auf die von ihm aufgeworfene Frage, wer die Impressionisten eigentlich künstlerisch waren, greift White letztlich selbst auf die Ideologie des charismatischen Individualismus des „Händler- und Kritikersystems“ zurück. Die Galeristen des 19. Jahrhunderts waren im Licht dessen, was Bourdieu den Anti-Ökonomismus des Kunstfeldes genannt hat, eher in den Hintergrund gedrängt. Davon zeugen etwa die bekannten Gruppenporträts im anti-akademistischen künstlerischen Milieu der 1860er und 1870er Jahre, wie Frédéric Bazilles L'Atelier de la rue de la Condamine (1870) und Henri Fantin-Latours Hommage à Delacroix (1864) und Un atelier aux Batignolles (1870). Auf ihnen finden sich neben Malern zwar durchaus Schriftsteller wie Baudelaire und Zola, die auf dem Weg zur Autonomie des künstlerischen Feldes wichtige Verbündete waren, und in einem Fall auch ein befreundeter Sammler, aber niemals Händler oder Galeristen. Sie wurden damals genauso wenig wie Berthe Morisot und Mary Cassatt – die erfolgreichsten weiblichen Mitglieder der impressionistischen Bewegung – in solche Porträts von künstlerischen Netzwerken einbezogen. Während die Whites in den 1960er Jahren die Rolle der Galeristen leidenschaftslos und analytisch beschrieben hatten, finden wir Durand-Ruel nun, in der Beschreibung Whites aus den 1990er Jahren, als jenes „Genie“ wieder, ohne das es den Impressionismus letztlich nicht gegeben hätte. „Meine eigene Antwort auf die Frage, wer die Impressionisten eigentlich künstlerisch waren, dreht sich um Paul Durand-Ruel, der einem Soziologen vor allem in jener Art und Weise als Genie erscheinen muss, in der Cézanne es auf der malerischen Ebene war. Ihre nachträgliche Anerkennung als Impressionisten, so meine These, wurde von Durands Handlungskompetenz durchgesetzt und nicht durch irgendeinen immanenten Stil.“[25] White lenkt die Aufmerksamkeit insbesondere auf den Umstand, dass Durand-Ruel, von seinem geringen und schwankenden Erfolg in Frankreich getrieben, in den 1880er Jahren Erfolge erzielen konnte, indem er ein neues Publikum vornehmlich in den USA gewann, wo es keine vergleichbaren mentalen Blockaden gab, wie sie der Akademismus in Frankreich geschaffen hatte. In New York war ihm die Eröffnung einer Galerie gelungen, nachdem er dort 1887 eine erste große Impressionisten-Ausstellung organisiert hatte. Durand-Ruel verkörpert demnach die These von der flexiblen Rezeption, indem er die Fähigkeit zeigte, neue relevante Gruppen der Öffentlichkeit, sprich Sammler und Käufer, zu erreichen und sie für eine nicht nur symbolische Aneignung der neuen französischen Kunst zu gewinnen. Vor dem Hintergrund des Niedergangs des akademischen Systems fielen die Bedürfnisse der Maler, Händler und Kritiker mit den Wünschen der Käufer und Sammler nach für bürgerliche und vor allem großbürgerliche Haushalte geeigneten Bildern zusammen. Durch einen komplexen Prozess entstand am Ende des 19. Jahrhunderts ein neues System, das dem akademischen System die Kontrolle über den Status und die Honorierung von Künstlern in einer letztlich bis heute wirksamen Form aus der Hand nahm. Die Preise der akademischen Maler verfielen schlagartig, Professuren an Akademien und Kunsthochschulen verloren ihre Bedeutung für den Status von Künstlern, der nunmehr zunehmend vom „Markt“ bestimmt wurde. Bourdieu tendiert in Übereinstimmung mit so unterschiedlichen Denkern wie Clement Greenberg, André Malraux, Michel Foucault und – nicht zu vergessen – Michael Fried[26] nicht nur zu einer formalistischen Interpretation[27], sondern bisweilen sogar zu einer individualisierenden Heroisierung Manets im Hinblick auf die impressionistische Revolution, ungeachtet seiner feldtheoretischen Argumentation, dass der eigentliche Produzent des Werkes und seines Wertes nicht der einzelne Künstler, sondern letztlich das Kunstfeld als Ganzes ist[28]. Der Netzwerktheoretiker Harrison C. White wiederum neigt dazu, einen anderen Protagonisten, nämlich Durand-Ruel, aus einer relationalen Gesamtkonstellation hervorzuheben, was angesichts seines soziologischen Ansatzes gleichfalls überraschend erscheint. Bezeichnenderweise ist es jedoch nicht ein Künstler wie Manet, sondern ein Galerist wie Durand-Ruel, der als radikal erneuerndes Genie gefeiert wird. Welche Belege gibt es nun für diese Deutung des Aufkommens des neuen Kunstsystems und insbesondere für die Rolle von Durand-Ruel? Robert Jenson und David Gallenson[29], ein Kunsthistoriker und ein Ökonom, beziehen sich in einer kritischen Arbeit auf die ältere Studie von White und White. Sie haben darauf hingewiesen, dass es in Wirklichkeit wesentlich länger gedauert hat, als das Buch nahe legt, bis das Salon-System von jenem auf Einzelausstellungen konzentrierten Galerie-System ersetzt wurde, das von White schließlich ganz der Initiative Durand-Ruels zugeschrieben wurde. Als Zwischenschritt etablierte sich in Paris vielmehr eine Vielzahl von Salons, bevor das staatlich kontrollierte System dem Kunstmarktsystem wich, so wie wir es heute kennen. Laut ihrer Analyse war die kommerzielle Galerie-Ausstellung, die einem einzelnen Künstler gewidmet war und zum dominanten Format des 20. Jahrhunderts werden sollte, für junge oder unbekannte KünstlerInnen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keine Option. Durand-Ruel zeigte nur solche Impressionisten in Einzelausstellungen, deren Reputation bereits einigermaßen gesichert war. Zwar liegt White richtig damit, herauszustellen, dass von allen wichtigen Kunsthändlern nur Paul Durand-Ruel die neue Kunst in größeren Mengen kaufte. Allerdings haben Galenson und Jenson gezeigt, dass er den Impressionisten hauptsächlich nur während zweier kurzer und weit auseinander liegender Phasen Bilder abkaufte, und zwar 1872 und 1873 und in den frühen 1880er Jahren. Während des Zeitraums, zu dem die unabhängigen Ausstellungen der Impressionisten stattfanden, von 1874 bis 1886, also während der wichtigsten Phase ihres Kampfes gegen den Salon, erhielten sie von Durand-Ruel kaum finanzielle Unterstützung. Durand-Ruel begann erst wieder die Werke der Impressionisten zu kaufen, als sie bereits erhebliches symbolisches Kapital durch ihre selbstorganisierten Ausstellungen angesammelt hatten. Aber er bot den Künstlern keine nachhaltige und kontinuierliche Unterstützung. Darüber hinaus hat die französische Kunsthistorikerin Anne Distel[30] mehr als zwei Dutzend Sammler ausgemacht, die in Paris während der 1870er und den frühen 1880er Jahren Bilder von den Impressionisten gekauft haben. Nur zwei von ihnen, der Bariton Jean-Baptiste Faure und der Geschäftsmann Ernest Hoschedé, beides spekulative Sammler, scheinen auf die Werke der Impressionisten durch eine Vermittlung von Durand-Ruel gestoßen worden zu sein. Die meisten anderen kauften direkt bei den KünstlerInnen, wobei sie mit diesen über andere KünstlerInnen oder SchriftstellerInnen in Kontakt gekommen waren. Obwohl White in seiner Studie von 1993 besonderes Augenmerk auf die Wichtigkeit der Rolle Durand-Ruels als Wegbereiter der Impressionisten auf dem US-amerikanischen Markt richtet, sind viele wichtige US-amerikanische Sammler und Sammlerinnen in Wirklichkeit durch die Malerin Mary Cassatt mit dem Impressionismus bekannt gemacht worden. Sie stammte aus der Oberschichtfamilie eines Investment-Bankers aus Pittsburgh und ging als junge Künstlerin nach Paris, wo sie Karriere machte und schließlich zu jenem Dutzend impressionistischer Künstler und Künstlerinnen gehörte, das später in der Kunstgeschichte als der Kern der Bewegung betrachtet wurde.[31] Dort gelangte sie in den Kreis um Edgar Degas, der ebenfalls aus der Oberschicht kam und einen Familienhintergrund von Bankern mit internationalen Kontakten hatte, die bis in die USA reichten. Noch vor Durand-Ruels New-York-Geschäften hatte Mary Cassatt bereits eine kleine, aber entscheidende Anzahl US-amerikanischer Sammler und Sammlerinnen gefunden, die Teil ihres sozialen Netzwerkes waren. So konnte sie ihren Bruder und einige nahe Freundinnen und Freunde davon überzeugen, Gemälde von Manet, Degas, Renoir, Morisot, Pissarro und anderen, partiell mit dem Impressionismus verbundenen Malern wie Cezanne zu kaufen. Zu diesem Kreis um Cassatt gehörte auch Louisine Elder, die Henry Havemeyer, den späteren „Zuckerkönig“ der USA, heiratete. In Abstimmung mit Mary Cassatt und auf ihrem Urteil gründend begannen die Havemeyers – wie auch Potter Palmer, Besitzer einer großen Hotelkette, und seine Frau –, Sammlungen aufzubauen, die zu den wichtigsten Sammlungen impressionistischer Kunst in den USA werden sollten. Der ursprüngliche Kontakt mit den Werken der Impressionisten ging also auf eine Künstlerin und nicht auf einen Kunsthändler zurück. Sicherlich hätte die Havemeyer-Sammlung nicht eine solche Wichtigkeit erlangt, hätte die verwitwete Louisine Havemeyer, mittlerweile eine recht bekannte bürgerliche Feministin, nicht 1917 einen großen Teil davon dem Metropolitan Museum of Art in New York vermacht.[32] Der entscheidende Punkt für jenen Typ des ambitionierten Künstlers allerdings, den z. B. Manet repräsentiert, der zielstrebig auf eine Position innerhalb der Kunstgeschichte hinarbeitet, ist nicht die Akzeptanz von privaten Sammlern – damals wie heute normalerweise Aufsteiger im sozialen Raum, reich oder super reich geworden und danach trachtend, ihren unsicheren sozialen Status aufzuwerten. Der Kampf um künstlerische Anerkennung und die Einschreibung in die Kunstgeschichte wird nicht im privaten, sondern im öffentlichen Bereich entschieden: im Museum. Die Platzierung im Museum findet in Canvases and Careers wie auch in Creativity and Careers weder im Hinblick auf Frankreich noch auf die USA Berücksichtigung. Auch im theoretischen Bezugsrahmen bleibt sie als ein entscheidender Aspekt der Konsekration von Künstlern gleichfalls unbeachtet. Zudem schenkt White, was nicht weniger wichtig erscheint, auch den Strategien der Künstler selbst keine Beachtung. So hat er weder der Rolle Mary Cassatts unter dem Gesichtspunkt der „flexiblen Rezeption“ Aufmerksamkeit geschenkt, noch geht er auf Monets Initiative von 1890 ein. In diesem Jahr kaufte Monet mit Hilfe gesammelten Geldes die Olympia von Manet für in heutige Währung umgerechnet etwa 90.000 US-Dollar von Manets Witwe. Seine Absicht bestand darin, dieses Werk dem Staat als Geschenk für eine Platzierung im Louvre anzubieten. Auf diese Weise versuchte er die offizielle Anerkennung nicht nur für die charismatischste Figur der Bewegung, sondern für den Impressionismus insgesamt zu forcieren und dabei natürlich auch sich selbst entsprechend zu positionieren. Auch die letztlich noch wirksamere Strategie eines anderen Künstlers wird von White übergangen: Gustave Caillebotte, der wie Cassatt zu dem zuvor erwähnten Dutzend mittlerweile kanonisierter impressionistischer Künstlerinnen und Künstler gehört, war zugleich einer der wichtigsten Sammler und finanziellen Unterstützer der Impressionisten. Auch er stieß ohne das Zutun Durand-Ruels zur Gruppe. Wie Manet, Degas, Cassatt und Berthe Morisot, die zweite bedeutende impressionistische Malerin, kam er aus der Oberschicht, in diesem Fall nicht in Begriffen symbolischen, sondern ökonomischen Kapitals gesprochen. Er war der Erbe eines wohlhabenden Textilindustriellen. Caillebotte hat eine Sammlung mit sechzig wichtigen Werken von Degas, Manet, Cézanne, Pissaro und anderen aufgebaut. Bereits 1878 legte er testamentarisch die Schenkung der Sammlung an den unter dem Einfluss des Akademismus gegenüber den Impressionisten zurückhaltend bis feindlich gesonnenen Staat unter der Bedingung fest, dass sie nicht im Archiv oder einem Provinzmuseum verschwindet, sondern in den beiden wichtigsten Häusern jener Zeit präsentiert würde, dem Louvre bzw. dem Museé du Luxembourg. Es war schließlich Caillebottes Vermächtnis, das den Impressionisten 1896 unter dem öffentlichen Druck, der mittlerweile über Fraktionen der Kritik und der Intellektuellen aufgebaut worden war, endgültig die Türen französischer Museen öffnete, als zunächst wenigstens ein Teil seiner Sammlung von der staatlichen Kunstbürokratie und dem Museumsleiter akzeptiert wurde. Auch in diese ausgeklügelte Strategie Caillebottes war Durand-Ruel nicht involviert. Sie führte jedoch laut Bernard Denvir zur „entscheidenden offiziellen Anerkennung der Impressionisten in Frankreich.“[33] Durand-Ruel kommt das Verdienst zu, der erste Galerist gewesen zu sein, der die Bedeutung der Impressionisten erkannte. Im Gegensatz zu Whites Schilderung allerdings waren weder er noch andere Kunsthändler führend an der Entwicklung der modernen Kunst und an der Entwicklung ihrer Absatzmärkte im 19. Jahrhundert beteiligt. Sie haben ihre Rolle in den Netzwerken der Kunstwelt gespielt, aber diese Rolle war weit davon entfernt, die Entscheidende gewesen zu sein. Durand-Ruel war wohl kaum jemand, den man ohne weiteres als „Genie“ bezeichnen könnte, ganz davon abgesehen, dass dies aus soziologischer Sicht ohnehin ein problematischer Begriff ist. Die Grenzen von Durand-Ruels Kunstverstand werden zudem anhand einiger Bemerkungen Anne Distels mehr als deutlich, die selbst zu jenen VertreterInnen der Kunstwelt zählt, die dazu neigen, die Welt in Genies und normale Leute einzuteilen: „Durand-Ruel scheint Werke von Cézanne nur auf die dringende Bitte eines vertrauensvollen Kunden hin gekauft zu haben. Um Seurat oder Gauguin hat er sich gar nicht gekümmert, und das, obwohl Gauguins erste Ausstellung 1893 in seiner Galerie stattfand. Er ging sogar so weit, die Organisierung einer posthumen Ausstellung für Van Gogh abzulehnen.“[34] Betrachtet man nun all diese Hinweise auf und Bemerkungen zu Durand-Ruel, so scheint es, als würde Harrison C. White es der falschen Person anrechnen, für die flexible Rezeption der impressionistischen Revolution, für die Veränderungen der Kunstwelt des 19. Jahrhunderts und für die Wegbereitung des modernen Kunstmarktsystems verantwortlich zu sein. Seine Verherrlichung des Händlers scheint einer ideologischen Strömung geschuldet, von der auch jene Denkweisen getragen werden, die den Hype um „Innovation und Kreativität“ bzw. um die Creative Industries entwickelt haben. Diese Strömung feiert nicht nur den Individualismus, sondern versucht auch die Rolle ökonomischer Akteure im Feld der kulturellen Produktion aufzuwerten. Neuinterpretationen im Geiste dieser Welle neoliberalen Denkens finden, wie das Beispiel von White zeigt, vermittels namhafter Wissenschaftler mittlerweile selbst in der Kunstgeschichte ihr Ziel. Eine adäquatere soziologische Erklärung von Aspekten der impressionistischen Revolution wird, wie angedeutet, das Augenmerk in stärkerem Maße auf die Strategien der Künstler selbst richten müssen. Zu den Besonderheiten des Impressionismus aus soziologischer Sicht zählt nicht nur, dass seine Hauptvertreter im Gegensatz zu den akademischen Meistern so gut wie keinen Hintergrund in Künstlerfamilien hatten. Sie waren also nicht in vergleichbarer Weise einem familiär oder verwandtschaftlich übermittelten Einfluss der Tradition des Akademismus ausgesetzt. Gegenüber Arnold Hauser, der schreibt, dass die Impressionisten „zum großen Teil aus dem Volk und dem Kleinbürgertum“[35] stammen, ist eher die privilegierte Herkunft sowohl des Degas-Kreises (mit Cassatt, Caillebotte und Degas selbst), als auch anderer kanonisierter Repräsentanten des Impressionismus zu unterstreichen, wie Morisot und Bazille sowie von Manet als Wegbereiter bzw. Bezugspunkt der Bewegung. Dies wurde von Hauser nicht und später in der französischen Kunstsoziologie bei Bourdieu und Heinich[36] nur unzureichend, nämlich vor allem mit Bezug auf Manet und Degas beachtet.[37] In den Ressourcen, über die Manet auf Grund seiner Herkunft aus dem Großbürgertum verfügte, einschließlich des damit verbundenen Selbstvertrauens sieht Bourdieu eine Grundlage für die Bereitschaft und Fähigkeit zur Überschreitung künstlerischer Konventionen. Dieses Argument lässt sich einerseits ausdehnen, insbesondere auf Degas, was Nathalie Heinich getan hat. Andererseits stößt es jedoch bald an Grenzen, wenn man berücksichtigt, dass Monet und Renoir zu Neuerungen fähig waren, ohne über solche herkunftsbedingten Ressourcen zu verfügen. Es kann sich somit nur um eine parzielle Erklärung handeln, die zudem zu individualisierend ist. Kapital, das unmittelbar mit der sozialen Herkunft aus dem wohlhabenden Bürgertum in Zusammenhang steht, kommt, wie gezeigt wurde, im Falle der impressionistischen Revolution aber auch noch in ganz anderer Weise, über rein künstlerische Innovationen hinaus ins Spiel. Mary Cassatt und Gustave Caillebotte nutzten ihr ökonomisches und soziales Kapital, um das Interesse in entscheidenden Sammlerkreisen zu wecken bzw. um direkt und indirekt die institutionelle Anerkennung des Impressionismus in der Welt der Museen und damit in der „Jupitergeschichte der Kunst“ (Foucault) zu sichern. Betrachtet man die Impressionisten somit als Gruppe, so wird man kaum bestreiten können, dass es Beispiele für wesentliche künstlerische Innovationen unabhängig von der sozialen Herkunft der Künstler gibt. Für die Durchsetzung und institutionelle Anerkennung des Impressionismus jedoch war das soziale und ökonomische Kapital, das der Gruppe insgesamt zur Verfügung stand, von ausschlaggebender Bedeutung. Die Schritte in Richtung der Steigerung der relativen Autonomie des Feldes und die Lösung von der staatlichen Bevormundung konnten sich somit nicht nur auf Motivationen von Künstlern und Künstlerinnen stützen. Ein hinreichend großer Teil unter ihnen verfügte darüber hinaus auch über jene Ressourcen, ohne die solche Motivationen meist nicht weit führen. Sie setzten sie sowohl für jene „flexible Rezeption“ unter Privatleuten ein, die White primär vor Augen hat, als auch für die Platzierung im Museum. Ob man die Impressionisten für ihren Beitrag zur Durchbrechung des staatlichen Nomos, zur Marginalisierung des Akademismus, zur Etablierung von Anomie bzw. Pluralität und zur Erhöhung der relativen Autonomie des Feldes letztlich als heroische Revolutionäre feiert, oder aber als radikale Innovatoren aus dem Bürgertum, die dem modernen Kapitalismus auch im Feld der Kunst zum Durchbruch verhalfen, steht auf einem anderen Blatt.
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[6] Zur damaligen Diskussion vgl. etwa die sich von der Einschätzung Bourdieus abhebenden Texte und Interviews von bzw. mit Michel Laclotte, Madelein Rebérious und Françoise Cachin in Edwards (Hg.) 1996, S. 282-286. [7] Eine interessante Auseinandersetzung mit diesen akademischen Malern anlässlich ihrer Rolle bei der Weltausstellung in Paris 1867 findet man bei Zola 1994 (1867), S. 79-90. [8] Vgl. u. a. Boime 1987; Mainardi 1993; White / White 1993. [9] Vgl. auch Bourdieu 1992, S. 238ff. [10] Collins 2005, S. IX. [11] White / White 1993 /1965. [12] Vgl. Collins, a.a.O. [13] Vor allem im britischen Neoliberalismus hat das Konzept der Kreativität in Zusammenhang mit der Propagierung einer wissensbasierten Ökonomie einen besonderen Stellenwert gewonnen, wie etwa die folgende Passage aus einem vielzitierten Weißbuch der New-Labour-Regierung deutlich macht: „Our success depends on how well we exploit our most valuable assets: our knowledge, skills, and creativity. These are the keys to designing highvalue goods and services and advanced business practices. They are at the heart of a modern knowledge driven economy”. Blair 1998, S. 1. Angela McRobbie verweist in ihrem Beitrag in diesem Band in Zusammenhang mit diesem Kreativitätsdiskurs auf den Import von US-Theorien. Jessop 2005, S. 144ff. widmet sich dem von Schumpeter beeinflussten Diskurs in einer grundsätzlichen Form. [14] White 1993, S. 72. [15] Ebd. S. 82. [16] Die außergewöhnlich hohen Besucherzahlen - jeweils zwischen 300 Tsd. und 1.2 Mill. - sind im Detail dokumentiert in Sfeir-Semler 1992, S. 51. Diese Studie ist auch deshalb interessant, weil sie exemplarisch für die u. a. von Bourdieu attackierte Richtung der Kunstgeschichtsschreibung steht, welche – mit letztlich geringem Erfolg – die akademische Malerei des 19. Jahrhunderts zu rehabilitieren versuchte. Das Hauptwerk dieser revisionistischen Tradition ist jedoch zweifelsohne die als Buch mit Verzögerung veröffentlichte Dissertation von Vaisse 1993, die in den 1980er Jahren in der französischen Kunstgeschichte einflussreich war. Zu verschiedenen kunstgeschichtlichen Positionen zum Akademismus und Impressionismus vgl. Nord 2000. [17] Sfeir-Semler 1992, S. 41. [18] Vgl. dazu Standardwerke zur Geschichte des Impressionismus wie Rewald 1979, Denvir 1993 oder Dippel 2002. [19] Vgl. Cachet 1991; Brombert 1996. [20] Zola, a.a.O., S. 75. [21] Der spekulative Charakter des modernen Kunstmarktes ist beschrieben bei Watson 1992. [22] Vgl. ebd., S. 81ff. [23] White 1993, S. 81. [24] White 1993, S. 75. [25] Ebd. [26] Vgl. Fried 1996. [27] Dies wird aus einer den Cultural Studies und der revisionistischen Sozialgeschichte der Kunst verhafteten Perspektive problematisiert von Fowler 1997. [28] Vgl. Bourdieu 1988. [29] Galenson / Jensen 2002. [30] Vgl. Distel 1989. [31] Vgl. u. a. Rewald 1979; Herbert 1988; Thomson 2000; Bocquillon 2004; Callen 2006. [32] Vgl. Distel, 1989, S. 237ff., und Weitzenhoffer 1986. [33] Denvir 1993, S. 194. [34] Vgl. Distel, 1989, S. 31. [35] Hauser 1953, S. 426. [36] Vgl. Heinich 2005, S. 229. [37] In den soziologischen Arbeiten zu den Impressionisten werden diese entweder, wie bei Hauser oder White, als Einheit betrachtet, oder aber einzelne Vertreter werden stellvertretend für die gesamte Gruppe behandelt, wie insbesondere Manet von Bourdieu. White vernachlässigt nicht nur die künstlerische Innovation als solche bzw. hält sie für weniger bedeutend, weil die impressionistische Maltechnik sich bereits in der Barbizon-Schule bei Daubigny finde, sondern verzichtet auch auf eine Beschäftigung mit den einzelnen künstlerischen Akteuren. Auf diese Weise geraten auch die spezifischen Strategien zur Sicherung von Anerkennung bzw. zur Erschließung von Sammler und zur Platzierung im Museum aus dem Blickfeld. Gegenüber White ist somit zu unterstreichen, dass Welten zwischen den Neuerungen eines Daubigny und eines Manet liegen und dass unter den Impressionisten im engeren Sinne noch erhebliche Differenzen auf künstlerischer Ebene zu beachten sind: „Der größte Bruch, der die Gruppe durchzog“, schreibt etwa die Kunsthistorikern Andrea Dippel, „war die Aufspaltung in Landschafts- und Figurenmaler bzw. in Koloristen und Zeichner. Monet gehörte eindeutig der ersten, Degas der zweiten Fraktion an. Und während Monet behauptet, kein Atelier zu haben und seine Bilder stets direkt vor Ort in Reaktion auf Motive zu malen, betonte Degas, dass keine Kunst weniger spontan als seine sei, das Ergebnis des Nachdenkens und des Studiums der alten Meister.“ Dippel 2002, S. 12.
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