Einleitung
Ebenso wie in zahlreichen anderen Ländern von Finnland bis Indien und insbesondere in allen großen Städten werden zurzeit auch in Österreich die Creative Industries (CI) als wirtschafts- und kulturpolitisches Hoffnungsgebiet gehandelt[1]. Der Hype dieses Konzeptes begann mit dem Regierungswechsel 2000, bei dem eine Koalition der konservativen Volkspartei und der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei an die Macht kam und damit zum ersten Mal seit 1970 eine österreichische Regierung ohne Beteiligung der sozialdemokratischen Partei gebildet wurde. Dieser Regierungswechsel führte im Allgemeinen zu einer neoliberalen Wende der österreichischen Politik gepaart mit politischer Repression gegenüber kritischen politischen Kräften, nicht zuletzt im Kunstfeld. Im Rahmen der Kulturpolitik allerdings schlossen die konservativ/rechtspopulistischen Regierungskonzepte in vielerlei Hinsicht an die sozialdemokratische Politik der 1980er und 1990er an: Die Kommerzialisierung von Kunst und Kultur begann mit der zunehmenden Festivalisierung des Kulturbetriebs in den 1980er Jahren und setzte sich in Debatten über die ökonomische Relevanz von Kunst und Kultur in den 1990ern fort. Und auch gegenwärtig ist die sozialdemokratische Wiener Stadtregierung mindestens so aktiv in ihren Bemühungen um die CI wie die (bis vor kurzem konservativ/rechte) Bundespolitik. Trotzdem erscheint es plausibel, das wachsende politische Augenmerk auf die CI im Kontext der internationalen Hegemonie des Neoliberalismus zu sehen, die in Österreich mit dem Regierungswechsel 2000 voll zum Tragen kam[2].
Die Form, in der die CI in Österreich propagiert werden, entspricht dem internationalen Trend.[3]
Dieser internationale Diskurs überlappt allerdings mit spezifischen nationalen Diskursen, und konkrete Bedingungen für die CI ergeben sich aus diesem Zusammenspiel, für das im konkreten Fall die lange Tradition der österreichischen Kulturpolitik eine wesentliche Rolle spielt.
Eine kurze Geschichte der österreichischen Kulturpolitik[4]
Bis vor kurzer Zeit war es in Österreich weitgehend unumstritten, dass Kunst und Kultur eine gesellschaftliche Verantwortung sind und daher in erster Linie durch die öffentliche Hand finanziert werden müssen. Die Wurzeln dieser speziellen Beziehung zwischen Politik und Kunst lassen sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen; dieses Verständnis ist also ein Erbe der Habsburger Monarchie. Der Reichtum der Habsburger Monarchie und die dadurch mögliche großzügige Förderung der Kunst ermöglichten einerseits eine lang anhaltende Blüte der Künste und führten andererseits zu deren Abhängigkeit von staatlicher Förderung. Dieses Grundmuster hoher finanzieller Zuwendungen an die Kunst und starker Abhängigkeit der Kunst von der Politik überlebte das Ende der Habsburger Monarchie ebenso wie die zentralistische Struktur der Kunst- und Kulturförderung. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts war also die österreichische Kulturpolitik stark von der Tradition der Monarchie geprägt – es ist daher auch wenig erstaunlich, dass der Löwenanteil öffentlicher Kulturförderung für das kulturelle Erbe (historische Gebäude, Museen, Opern und große Theater) ausgegeben wurde und wird. Allerdings ist auch die gesamte Höhe der öffentlichen Kulturausgaben in Österreich nach wie vor im internationalen Vergleich beachtlich.
Selbstverständlich kam es im Rahmen dieser allgemeinen Orientierung der österreichischen Kulturpolitik immer wieder zu neuen Schwerpunktsetzungen. Von besonderer Relevanz waren hier die gesellschaftlichen Veränderungen im Gefolge der 1968er-Bewegung und die sozialdemokratische Alleinregierung Anfang der 1970er. Zu dieser Zeit fanden erstmals nach Ende des Zweiten Weltkriegs auch zeitgenössische Kunstformen Beachtung in der österreichischen Kulturpolitik und wurden in Förderprogrammen berücksichtigt. Die Finanzierungshöhen blieben im Vergleich zum kulturellen Erbe stets verschwindend, reichten aber zur Entwicklung einer gewissen Dynamik im Bereich zeitgenössischer Kunst aus.
Die Förderung zeitgenössischer Kunst durch die Sozialdemokratie lässt sich zwar zum Teil aus politischen Zielsetzungen erklären, war aber auch wesentlich von der Notwendigkeit bestimmt, die konservative kulturelle Hegemonie zu brechen. Trotzdem blieb die sozialdemokratische Politik in diesem Bereich halbherzig und ohne konzises Programm. Kulturpolitik wurde als Teil einer generellen Wohlfahrtsorientierung konzipiert – in den Worten des „Kulturpolitischen Maßnahmenkatalogs“ von 1975: „Heute in einer Zeit der Wachheit und lebhaften Diskussion hinsichtlich noch bestehender Verteilungsungerechtigkeiten muss sich Kulturpolitik als eine Variante von Sozialpolitik verstehen“ (Bundesministerium für Bildung und Kunst 1975). Diese Forderung wurde in erster Linie als Öffnung der Hochkultur für breitere und auch eher bildungsferne Publikumsschichten operationalisiert. In diesem Konzept verband sich ein traditionelles Verständnis der erzieherischen Bedeutung von Kunst und Kultur mit egalitären Ansprüchen. Es bedurfte nur einer sehr kleinen Akzentverschiebung, um daraus in den 1980ern die Forderung nach Kommerzialisierung abzuleiten: Ging es ursprünglich darum, den ungebildeten Massen Wertschätzung für die Hochkultur beizubringen, so wurde später verlangt, dass sich Kunst und Kultur an den Wünschen des potenziellen Publikums orientieren sollten.
Aus normativ-demokratischer Sicht erscheinen beide kulturpolitischen Konzepte problematisch – die paternalistische öffentliche Hand wird von der unsichtbaren Hand des freien Marktes abgelöst[5]. In Hinblick auf die politische Umsetzung ist zudem anzumerken, dass die Kommerzialisierung von Kunst und Kultur in Österreich mit steigenden öffentlichen Kulturausgaben einherging. Zwei Beispiele illustrieren diesen erstaunlichen Sachverhalt:
Diese widersprüchlichen und häufig kontraproduktiven Formen der Kunstfinanzierung erklären sich aus dem Aufeinandertreffen verschiedener Traditionen und neuer Entwicklungen: Zwar folgte die österreichische Kulturpolitik dem internationalen Trend der Kommerzialisierung, zugleich wurde aber die traditionelle Abhängigkeit vom staatlichen Handeln im Bereich Kunst und Kultur beibehalten. Die Kommerzialisierung führte damit nicht zu ökonomischem Erfolg, sondern zu − nach wie vor staatlich subventionierter − Popularisierung.
Während die kulturpolitische Agenda der Sozialdemokratie also widersprüchlich und letztendlich wenig einflussreich war, prägte die prononcierte Umverteilungspolitik die gesellschaftliche Entwicklung und politische Kultur des Landes entscheidend. In Österreich entstand ein außerordentlich starker und erfolgreicher Wohlfahrtsstaat mit einem hohen Maß an sozialer Sicherheit, der durch das System der Sozialpartnerschaft stabilisiert wurde und länger als in vielen anderen Ländern erhalten werden konnte. Das österreichische Wohlfahrtsmodell orientierte sich − wie die meisten dieser Modelle − an großen Industrien (die sich zu einem nicht unerheblichen Teil in Staatseigentum befanden), Vollbeschäftigung und geregelten Langzeitarbeitsverhältnissen. Doch während das dichte soziale Netz tatsächlich für die gesamte Bevölkerung von Relevanz war, wurde mehrfach empirisch bewiesen, dass Arbeitsplatzsicherheit in regulären Arbeitsverhältnissen stets nur auf einen Teil der Arbeitskräfte zutraf, nämlich auf männliche, inländische Beschäftigte in den großen Industrien. Frauen und MigrantInnen waren stets von Prekarisierung bedroht − wie auch diejenigen KünstlerInnen, die nicht in den großen Prestigeinstitutionen des kulturellen Erbes beschäftigt waren[6]. Unabhängige KünstlerInnen leben auch in Österreich seit langer Zeit prekarisiert und werden daher heutzutage euphemistisch als Avantgarde der neuen kreativen Entrepreneurs bezeichnet. Trotzdem stellte das politische Ziel von sozialer Sicherheit und Vollbeschäftigung einen mindestens diskursiven Fixpunkt dar, der Kritik an bestehenden Verhältnissen ermöglichte. Auch führten kontinuierliche Debatten über die stark ungleiche Verteilung staatlicher Förderungen dazu, dass die geringen Subventionen für freie Kunstprojekte immerhin parallel zu den Finanzierungen für die großen Institutionen gesteigert wurden.
Zusammenfassend erscheinen folgende Charakteristika für die traditionelle Kulturpolitik in Österreich prägend:
Die Creative Industries in Österreich
Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum erstaunlich, dass die ersten Versuche, das Konzept der CI in Österreich einzuführen, von Hilflosigkeit und Verwirrung geprägt waren. Wenn im Jahr 2000 der damals frisch gebackene Staatssekretär Franz Morak von den CI sprach, war offensichtlich, dass er nicht wirklich wusste, wovon er redete, und hoffte, dass die österreichischen CI aufgrund ihrer bloßen Erwähnung in seinen Reden entstehen würden. Sieben Jahre später lässt sich konstatieren, dass diese Rechnung bis zu einem gewissen Grad aufgegangen ist und tatsächlich eine Entwicklung der CI durch Moraks Interesse eingeleitet wurde. Politische Reden sind performative Sprechakte (Austin 1962), deren Effektivität nicht von ihren Inhalten abhängt, sondern von der Macht, die hinter ihnen steht.
Die Inhalte dieser Reden waren allerdings tatsächlich erstaunlich dürftig: Morak teilte mit, dass jede/r kreativ ist, dass Kreativität Teil fast jeder Aktivität ist, dass Kreativität wirtschaftlich relevant ist. Er zitierte dass Weißbuch der Europäischen Kommission (Europäische Kommission 1998) mit seinen beeindruckenden Beschäftigungszahlen und Wachstumsprognosen (und er erwähnte nicht, dass das Weißbuch weder angibt, wie diese Zahlen erhoben wurden noch auf welche Wirtschaftszweige sie sich konkret beziehen), er bezog sich auf die CI-Programme im Vereinigten Königreich[7], und er führte das einzige außerordentlich erfolgreiche österreichische Unternehmen an, das sich als Teil der CI verstehen lässt − Swarovski Glas, Produzent von Schmuck und Dekorationsgegenständen aus Kristallglas. In der Folge entstand eine Reihe von Studien (IKM/KMU 2003, Kulturdokumentation et al. 2004, FORBA 2005), die Österreich und insbesondere Wien ausgezeichnete Rahmenbedingungen für die CI bescheinigten und, ebenso wie das Weißbuch, eine Fülle von Zahlen zu Wachstumschancen produzierten, deren empirische Relevanz unklar blieb. Schließlich entwickelten sowohl die Republik Österreich als auch die Stadt Wien Maßnahmen zur Förderung der CI, auf die in der Folge näher eingegangen werden soll.
Quartier 21
Das wohl bekannteste und auch umstrittenste Beispiel für politische Aktivitäten in Bezug auf die CI war die Schaffung eines CI-Clusters im MuseumsQuartier Wien, also an einem sehr zentralen und prominenten Ort[8]. Das Wiener MuseumsQuartier wurde nach jahrzehntelangen Diskussionen im Jahr 2001 eröffnet und stellt in erster Linie ein Konglomerat verschiedener Museen dar. Es verdankt seine Gründung (1) der Tatsache, dass sich nahe dem Wiener Zentrum historische Gebäude befanden, die neu genutzt werden mussten, und (2) dem Platzbedarf einiger großer Museen. Da die Ansiedlung mehrerer Museen in einem historischen Gebäudekomplex wenig zeitgemäß und attraktiv erschien, wurde ein Feigenblatt benötigt, um das MuseumsQuartier als lebendiges Kulturareal des 21. Jahrhunderts zu verkaufen − und dieses Feigenblatt ist das „Quartier 21“, in dem Räume für zeitgenössische künstlerische und kulturelle Produktion und insbesondere für die CI zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Art kann das MuseumsQuartier von sich behaupten, dass es sich nicht nur der Repräsentation von Kunst widmet, sondern auch ihrer Produktion, dass es nicht nur ein Ort des kulturellen Erbes ist, sondern zugleich einer der zeitgenössischen künstlerischen Aktivität.
Die konkrete Umsetzung dieser Idee zeigt einerseits die Ungebrochenheit des paternalistischen Top-down-Zugangs der österreichischen Kulturpolitik und andererseits die Schwierigkeiten, aus dieser Tradition heraus einen adäquaten Umgang mit den CI zu entwickeln: Die Verwaltungsgesellschaft des MuseumsQuartiers (die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befindet) will mit dem „Quartier 21“ Profite erzielen und verlangt daher Mieten für die dort zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten. Diese Mieten sind wiederum staatlich gestützt; da Mietpreise in diesem Teil von Wien sehr hoch sind, übersteigen sie aber trotzdem die finanziellen Möglichkeiten kleiner, neu gegründeter Firmen mit hohem Risikopotenzial. Daher mussten viele der Mikrounternehmen, die in einer ersten Welle der Euphorie in das „Quartier 21“ einzogen, ihre Räumlichkeiten wieder aufgeben, und sehr bald wurde das einzige Kriterium für die Auswahl der MieterInnen ihre Fähigkeit, die Miete zu bezahlen. Dies führte dazu, dass sich im „Quartier 21“ eine Fülle sehr unterschiedlicher Organisationen befindet, zwischen denen sich kaum Synergien entwickeln. Das „Quartier 21“ folgt damit derselben Logik wie das gesamte MuseumsQuartier: Die großen Museen, die sich in diesem Gebäudekomplex befinden, sind an Kooperationen weitgehend uninteressiert, da sie ausschließlich aufgrund ihres Platzbedarfs und der guten Lage eingezogen sind; ebenso erwarten sich die MieterInnen des „Quartier 21“ nicht eine Zusammenarbeit mit ihren NachbarInnen, sondern individuelle Geschäftserfolge in einem viel besuchten Kulturareal. Allerdings ist auch dies zweifelhaft, da sich aufgrund der Anordnung der Gebäude kaum je zufällige BesucherInnen in das „Quartier 21“ verirren.
Finanzielle Unterstützung für die CI
Die Republik Österreich wie auch mehrere österreichische Bundesländer und insbesondere die Stadt Wien haben mittlerweile Programme zur finanziellen Unterstützung der CI entwickelt. Eines der wichtigsten dieser Programme ist die Agentur „departure“, die von der Stadt Wien finanziert wird. „departure“ „richtet sich an kreativ tätige Menschen, die ihre Ideen und Entwicklungen (auch) im Rahmen klassischer wirtschaftlicher Tätigkeit nutzen und etablieren wollen, mit dem Ziel, auf kreativen Ideen und Innovationen basierende Produkte und Dienstleistungen erfolgreich anzubieten[9].“
Förderanträge bei „departure“ sind allerdings kompliziert und zeitaufwändig und daher für die EinzelunternehmerInnen und Mikrounternehmen, die einen Großteil der Wiener CI ausmachen, kaum zu bewältigen. Daher werden viele der von „departure“ geförderten Projekte von größeren und bereits in der Vergangenheit erfolgreichen Firmen durchgeführt, die vermutlich ihre Produkte auch ohne öffentliche Förderung entwickeln könnten. Diese Bevorzugung größerer und bereits erfolgreicher Unternehmen scheint dabei durchaus beabsichtigt (obwohl dies selbstverständlich offiziellen Stellungnahmen widerspricht): Alle Studien zu den österreichischen CI haben gezeigt, dass die Unternehmen in diesem Bereich eine unterkritische Größe haben. Die Lösung, die die Stadt Wien für dieses Problem anstrebt, scheint nun nicht darin zu bestehen, Kleinstunternehmen in ihrer Entwicklung zu unterstützen, sondern eine Marktbereinigung durch Förderung der größeren Unternehmen und Ausscheiden der kleineren herbeizuführen. Allerdings widerspricht diese Strategie dem generellen Ziel, die CI als Wirtschaftssektor zu fördern, da auf diese Art nicht viele der CI Unternehmen überleben werden.
Ein zweites Problem der Förderstruktur von „departure“ besteht darin, dass ausschließlich Projekte gefördert werden, sodass FördernehmerInnen keine Langzeitperspektive aufgrund dieser finanziellen Unterstützung entwickeln können. Auch dieses Prinzip entspringt einer (problematischen) österreichischen Tradition: Während die großen Institutionen mit langfristig gesicherten Budgets operieren können, mussten unabhängige KünstlerInnen stets mit Projektfinanzierungen überleben, was selbstverständlich jede Form längerfristiger Arbeits- und Lebensplanung unmöglich macht.
Zusätzlich ist anzumerken, dass die Förderstruktur von „departure“ nicht einmal den Konzepten der ApologetInnen der CI entspricht: Der US-amerikanische Bestsellerautor Richard Florida (2004) etwa geht bekanntlich davon aus, dass nur durch die Ansiedlung von Kreativen Städte wirtschaftlich prosperieren können; daher tritt er für die öffentliche Finanzierungen von Infrastruktur ein, die für diese Kreativen von Interesse ist − singuläre Projektförderungen lassen allerdings keine Infrastrukturen entstehen.
Gouvernekreativität
Zusammenfassend lässt sich aus dem bisher Gesagten schließen, dass die österreichische Kulturpolitik zwar die österreichischen CI erfunden hat, in ihren konkreten Maßnahmen zu deren Förderung aber versagt. Daraus zu schließen, dass es in Österreich keine CI gibt, wäre allerdings ein Fehler. Insbesondere in Wien werden laufend kleine Unternehmen gegründet, die den CI zugerechnet werden können und sich zum Teil in Clustern zusammenfinden − zwar nicht im MuseumsQuartier, aber in billigeren Gebäuden rund um dieses Prestigeobjekt oder auch in still gelegten Industriegebäuden. Diese Cluster entstehen weitgehend ohne öffentliche Förderung, und zwar aufgrund von Eigeninitiativen.
Der Fortbestand dieser Cluster ist ständig gefährdet, und die Arbeits- und Lebensbedingungen der dort Arbeitenden sind zu einem hohen Grad prekarisiert − üblicherweise sind längerfristige geschäftliche Planungen nahezu unmöglich und Investitionen in das eigene Unternehmen noch schwieriger zu bewerkstelligen. Die Tatsache, dass die kreativen Entrepreneurs üblicherweise jung und kinderlos sind, liegt zumindest nicht ausschließlich darin begründet, dass die CI so hip sind, sondern auch darin, dass die dort vorhandenen Jobs zur Erhaltung von Familien nicht ausreichen. Trotzdem − und durchaus internationalen Trends entsprechend − schätzen viele der Kreativen ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, fühlen sich unabhängiger als in regulären Arbeitsverhältnissen und nehmen das Avantgarde-Image an, das ihnen politisch zugewiesen wird (Mayerhofer/Schiffbänker 2003, FORBA 2005).
Diese Form des Selbstverständnisses ist leicht als Teil neoliberaler Gouvernementalität erkennbar, die auf Eigenverantwortung, Risikobewusstsein und Flexibilität beruht. Verstärkt wird diese Haltung durch Erfahrungen mit der paternalistischen österreichischen Kulturpolitik, die zu Abhängigkeitsverhältnissen nicht nur in einem eher abstrakten Sinn (abhängig von „dem Staat“), sondern in konkreten Formen führt − nicht selten wird der Erfolg von Förderansuchen von den Sympathien bestimmter PolitikerInnen oder BeamtInnen bestimmt. Zu dieser Form der Entmündigung bieten die CI mindestens scheinbar eine attraktive Alternative.
Das Paradigma des ökonomischen Erfolgs durch Kreativität überträgt sich auch zunehmend auf den Bereich der Kunst im engeren Sinn. Zwar wird offiziell stets vertreten, dass die Kunstförderung durch die CI nicht beeinflusst wird, doch finden sich sowohl fließende Übergänge im Förderwesen als auch eine zunehmende Orientierung von KünstlerInnen an kommerziellem Erfolg, die umso erstaunlicher ist, als künstlerische Qualität in Österreich bis vor relativ kurzer Zeit durch Nichtverkäuflichkeit und die Notwendigkeit öffentlicher Finanzierung definiert wurde.
Zumindest in Hinblick auf die diskursive Durchdringung der österreichischen Gesellschaft mit neoliberalen Paradigmen (die sich dann in Reduktionen öffentlicher Finanzierungen manifestiert) kann also der österreichischen CI-Politik, trotz ihrer konkreten Fehlleistungen, erheblicher Erfolg bescheinigt werden.
Was tun?
Was lässt sich aus diesem Länderbefund in Bezug auf die Kritik der Creative Industries ableiten? Welche konkreten Strategien für die österreichische Situation können entwickelt werden?
Gouvernementalität wird manchmal oberflächlich und falsch in einer ähnlichen Art verwendet wie der marxistische Begriff des „falschen Bewusstseins“. Doch kann es selbstverständlich kein „richtiges Bewusstsein“ geben, wenn jegliche Form des Verständnisses unserer selbst wie der Gesellschaft, in der wir leben oder leben wollen, durch hegemoniale Diskurse geprägt ist[10]. Daher ist es einerseits nötig, die CI als Teil des herrschenden ökonomischen und politischen Paradigmas des Neoliberalismus zu entlarven und die Konsequenzen dieses Paradigmas deutlich zu machen, andererseits aber gilt es, die Bedürfnisse derjenigen, die in den CI arbeiten, ernst zu nehmen. Und während selbstdefinierte Arbeitsaufgaben und flexible Arbeitsorganisation sicherlich zu den Attraktionen dieses Sektors zählen, stellen fehlende soziale Sicherheit und ungenügende materielle Ausstattung Probleme dar, die von den Betroffenen selbst klar wahrgenommen werden. Hier können neue Formen der Solidarisierung und Vernetzung ansetzen, die durchaus auch den Anspruch auf öffentliche Leistungen erheben (dazu ausführlicher: Mayerhofer/Mokre 2007). Zwar stehen die starre Organisation des österreichischen Wohlfahrtsstaates in Parteien und Interessenvertretungen einerseits und die Abneigung der kreativen Entrepreneurs gegen diese Institutionen andererseits einer solchen Entwicklung entgegen, doch lässt sich vielleicht die internationale Verbreitung der CI auch dazu nutzen, neue Formen des Widerstands mindestens gegen die größten Auswüchse des Neoliberalismus international zu entwickeln. Würde es auf diese Art gelingen, die historischen Entwicklungslinien österreichischer Kulturpolitik zu durchkreuzen, so hätte der Hype der CI zumindest in dieser Hinsicht positive Konsequenzen.
Literatur
Austin, J. L. (1962): How to do things with words? Oxford.
Bundeskanzleramt Österreich (2007), Regierungsprogramm 2007-2010 (Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode. Wien. http://www.austria.gv.at/DocView.axd?CobId=19542, 29.1.2007.
Bundesministerium für Bildung und Kunst (1975), Kunstbericht. Wien
European Commission (1998): Culture, the Cultural Industries and Employment, Brüssel.
Florida , Richard (2004): The Rise of the Creative Class. [2002] New York.
FORBA (2005): Branchenanalysen zu Arbeit und Beschäftigung in Wiener Creative Industries: Architektur, Design, Film/Rundfunk, Software/Multimedia und Werbung. Bericht 1: Hubert Eichmann; Sybille Reidl; Helene Schiffbänker; Markus Zingerle. Wien, http://www.forba.at/files/download/download.php?_mmc=czo2OiJpZD0xMzQiOw==, 12.12.2005.
Foucault, Michel (1988): Technologies of the Self, in: Technologies of the Self: a Seminar with Michel Foucault. Ed. Luther H. Martin et al. Amherst: U of Massachusetts, 16-49.
Foucault, Michel (1979): Discipline and Punish. The Birth of the Prison. New York: Vintage.
Gordon, Colin (1991): Governmental rationality: an introduction, in Burchell, Graham/ Gordon, Colin/ Miller, Peter (Eds.), The Foucault Effect. Studies in Governmentality, London. 1-51.
Institut für Kulturmanagement (IKM)/KMU Forschung Austria (2003): Erster Österreichischer Kreativwirtschaftsbericht, Wien.
Kulturdokumentation et al. (2004): Untersuchung des ökonomischen Potenzials der „Creative Industries“ in Wien.
Landry, Charles (2000): The Creative City. A Toolkit for Urban Innovators.London, Sterling/VA.
Mayerhofer, Elisabeth (2002): Creative Industries – mehr als eine politische Requisite?. Creative Industries, Cultural Districts und das Wiener Museumsquartier. Ein internationaler Vergleich. http://www.fokus.or.at/paper%20mayerhofer.pdf, 12.12.2005.
Mayerhofer, Elisabeth/ Mokre, Monika (2007): The Creative Industries in Austria, in: Loovink, Geert / Rossiter, Ned (Hg.), MyCreativity Reader, Amsterdam (im Erscheinen).
Mayerhofer, Elisabeth; Schiffbänker, Helene (2003): Künstlerische Dienstleistungen im Dritten Sektor. Teil 1: Ausgangslage: Kunst – Kultur – Beschäftigung. Joanneum Research, Wien. http://www.equal-artworks.at/start.php?site=publikationen&subsite=detail&id=78, 12.12.2005.
MKW GmbH et al. (2001): Exploitation and development of the job potential in the cultural sector in the age of digitalisation. München.
Mokre, Monika (2005): Kann und soll ein demokratischer Staat Kultur fördern?, in: Zembylas, Tasos / Tschmuck, Peter (Hg.), Der Staat als kulturfördernde Instanz. Innsbruck.
Mokre, Monika (2006): Deregulation and Democracy. The Austrian Case. The Journal of Arts, Management, Law, and Society. Vol. 35 (2006), No. 4, 305-316.
Mokre, Monika (1996): Austrian theatres cost too much! the european journal of cultural policy. Vol. 2 (1996), No. 2. 289-302.
Roodhouse, Simon / Mokre, Monika (2004): A Global Management Challenge: The MuseumsQuartier, Vienna. International Journal of Applied Marketing, Vol. 3 (2004), No. 2, 115-142.
Wimmer, Michael (2006): Konservative Kulturpolitik seit 2000: Eine Radikalisierung aus dem Geist der austriakischen Restauration. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2006/3, 287-309.
[1] Siehe etwa das aktuelle Regierungsprogramm (Bundeskanzleramt 2007): „Der Bereich der Kreativwirtschaft an der Schnittstelle von Wirtschaft und Kultur ist für die kulturelle Produktion in Österreich von besonderer Bedeutung. In kultureller und in ökonomischer Hinsicht kommt den österreichischen Kreativleistungen ein wichtiger Stellenwert zu. Zur Stärkung des Kreativstandorts Österreich und zur Förderung österreichischer Kreativleistungen sind in den verschiedensten Bereichen Initiativen und Förderprogramme auszubauen.“
[2] Die neuerliche sozialdemokratische Regierungsbeteiligung seit Jänner 2007 lässt allerdings keine Änderung dieser Orientierung erwarten.
[3] Siehe. etwa Florida 2004, Landry 2000, European Commission 1998; MKW 2001, für Österreich: IKM/KMU 2003; kritisch zusammenfassend: Mayerhofer 2002.
[4] Vgl. zu diesem Kapitel: Mokre 1996, Wimmer 2006.
[5] Ausführlicher zur Demokratiefrage: Mokre 2005 und 2006.
[6] Wobei andererseits die Arbeitsschutzbestimmungen in diesen Institutionen geradezu absurd rigide und unflexibel waren und etwa dazu führten, dass jede Verlängerung einer Probe oder Aufführung am Wiener Burgtheater zu einer Kostenexplosion führte, da Überstunden für die gesamte Schicht von BühnenarbeiterInnen auch dann anfielen, wenn nur ein oder zwei ArbeiterInnen benötigt wurden.
[7] Creative Industries Mapping Document, http://www.culture.gov.uk/global/publications/
archive_1998/Creative_Industries_Mapping_Document_1998.htm?properties=archive%
5F1998%2C%2Fcreative%5Findustries%2FQuickLinks%2Fpublications%2Fdefault%2C&month=;
das zweite wurde 2001 publiziert, siehe unter http://www.culture.gov.uk/global/publications/
archive_2001/ci_mapping_doc_2001.htm?properties=archive%5F2001%2C%2Fcreative%
5Findustries%2FQuickLinks%2Fpublications%2Fdefault%2C&month=.
[8] Zur Geschichte des Museumsquartiers: Roodhouse/Mokre 2004.
[9] Siehe die departure Homepage: http://www.departure.at/, 2007-01-29
[10] Zum Begriff der Gouvernementalität etwa Foucault 1979 und 1988, Gordon 1991 sowie den Beitrag Isabell Loreys in diesem Band.