Kulturpolitische Debatten sind eine rare Erscheinung. Umso erstaunlicher und erfreulicher, wenn zwei davon zur gleichen Zeit stattfinden. Und noch besser, wenn sie sich einer höchst relevanten Frage widmen: Wie kann Kulturproduktion lebendig gehalten und finanziert werden? Um diese Frage dreht es sich in den zwei Problemzonen des Kultursektors, die zur Zeit die Feuilletons füllen und die Gemüter der Kulturschaffenden erregen: zum einen die Neuvermessung des Urheberrechts - in Österreich in erster Linie ausgelöst durch die Initiative „Kunst hat Recht“[1] - und zum anderen eine Neuorganisation der Kulturförderung, deren Dringlichkeit von vier Kulturmanagern mittels der dramatischen Diagnose eines „Kulturinfarkts“ beschworen wurde[2]. Noch erfreulicher allerdings wäre es, wenn diese Debatten nicht in den Vorhöfen kulturpolitisch substantieller Auseinandersetzungen blieben und deshalb in ihrem Ausgang so absehbar wären. Denn hinter den zugegeben nicht unwichtigen Fragen „wie kann Kulturförderung effektiver organisiert werden, um nicht den Infarkt zu produzieren“, und „wie lässt sich das klassische Urheberrecht effektiver durchsetzen“, steht eine ganz andere Dimension zu befragen, namentlich: „welche Kultur sollte gefördert werden, weil ihre Förderung im öffentlichen Interesse ist“. Die beiden Initiativen fokussieren auf zwei unterschiedliche Bereiche – auf Künstler_innen die einen, auf große Kulturinstitutionen die anderen – und stellen in beiden Fällen Unterfinanzierung bzw. Verteilungsprobleme fest. Und haben damit natürlich beide einen Punkt. Die soziale Lage von Künstler_innen ist alles andere als rosig und die Bürden der Prekarität werden keineswegs durch das Phantom der angeblich selbstverwirklichenden, freien Lebensführung kompensiert (wie u.a. eine ausführliche Studie des Kulturministeriums 2009 zeigte[3]). Kulturinstitutionen andererseits überleben mühsam bei real oder sogar nominell schrumpfenden Budgets und das Missverhältnis in der Förderung institutioneller Kultur und „freier Szene“ nimmt zuungunsten Letzterer ständig zu. Daher wollen die Künstler_innen und Kulturschaffende eine entsprechende Entlohnung für ihre Leistung. Kulturmanager_innen hingegen pochen ihrem Berufsbild entsprechend pragmatisch auf mehr Effizienz und sei es eben dadurch, dass weniger (und dafür leistungsfähigere) Kulturinstitutionen sich das vorhandene Geld aufteilen – der Rest ist dann über den freien Markt zu klären.
Nun wissen zumindest die Autoren von „Kulturinfarkt“, dass sich hier ein Problem ergibt, weil Märkte für kulturelle Leistungen nicht ohne weiteres funktionieren, u.a. da zahlreiche kulturelle Güter öffentliche und/ oder meritorische Güter sind. Und stellen daher fest: „Für öffentliche Güter und Dienstleistungen müsste kulturpolitisch festgelegt werden, in welchem Umfang und nach welchem Verfahren sie zu erbringen sind. Für meritorische Güter müsste festgelegt werden, welchen öffentlichen Zielen sie dienen, ob und wie kulturelle Angebote in größerem Umfang oder verbilligt auf dem Markt erscheinen sollen.“ So weit, so einsichtig und dringend nötig. Tatsächlich mangelt es der Kulturpolitik an Zielsetzungen, an denen sich Umsetzungen messen lassen. Die Hauptzielsetzung der Infarkt-Diagnostiker scheint eine Zurückdrängung der großen Kulturinstitutionen in Deutschland, genauer gesagt deren Halbierung darzustellen – das lässt sich immerhin sauber rechnen. Dies begründen sie allerdings dann doch weniger mit positiven kulturpolitischen Zielen als mit einer Darstellung des Scheiterns bisheriger Kulturpolitik. „Der Glaube an die Gestaltungskraft der Kultur, an ihr Zusammenhalt und Frieden stiftendes Wesen ist inzwischen erlahmt. (…) Kunst war, ist und bleibt ein Medium der sozialen Differenzierung, der Abgrenzung und Ausgrenzung.“ Auch dies ist nicht völlig unplausibel – zumindest in Hinblick auf die Schlachtschiffe der Kulturpolitik und die Erbanspruchspraxis in der Kulturförderung, um die es den Autoren geht – wohl aber ein etwas schräger Mix aus verschiedenen Funktionen von Kultur, die nicht notwendigerweise Hand in Hand gehen. Und es ergibt sich daraus auch nicht zwingend die Halbierung dieser Institutionen, konsequenter wäre im Lichte dieser Diagnose wohl eher deren Abschaffung. Doch ganz so skeptisch wollen die Autoren dann doch nicht sein und plädieren vielmehr dafür, dass die verbleibenden Einrichtungen künftig einen „erweiterten Auftrag (haben), bis zur Übernahme sozialer Verantwortung im kommunalen Umfeld (…).“ Offensichtlich lässt sich also mit Kultur doch etwas erreichen, was über die Ab- und Ausgrenzung hinausgeht. Weiters soll nach Meinung der Infarktdiagnostiker das durch die Halbierung der institutionellen Förderung frei gespielte Budget der „Laienkultur“ (was auch immer dies genau meint) dienen, der Kulturindustrie, den Hochschulen für Kunst, Musik und Design und einer gegenwartsbezogenen kulturellen Bildung. Hinter dieser etwas eklektisch anmutenden Mischung steht das Postulat, dass Kulturförderung nachfrageseitig zu definieren ist. Und daraus ergibt sich dann fast wie selbstverständlich eine Marktorientierung der Kulturpolitik, nicht nur in Bezug auf die Kulturwirtschaft, sondern auch in der Ausbildung, in der die Studierenden Produkte erzeugen sollen, die „dem laufenden Wirklichkeitstest unterworfen werden. Das wäre das Gegenteil von Elfenbeintürmen des europäischen Kultur- und Zukunftsskeptizismus (…). An deren Stelle stünden selektive Systeme für Künstler und Kulturmanager, die vom ersten Tag an für diverse Publika produzieren und sich als Unternehmer erproben.“ Selektion auf der Grundlage von Nachfrage und Zahlungsbereitschaft als neues Leitmotiv der Kulturpolitik; ästhetische Überlegungen kommen in diesem Modell nicht vor.
Auch die Verfechter_innen härterer Kontrollen von Urheberrechtsverletzungen sind von der Idee des Marktes geleitet. Künstler_innen erbringen eine Leistung und die muss honoriert werden, indem ihnen das Produkt abgekauft wird. Im Unterschied zu den Kulturinfarkt-Autoren scheint hier den Initiatoren nicht ganz klar zu sein, dass sich ein Markt für künstlerische Leistungen nicht automatisch ergibt. Die unsichtbare Hand des Marktes versagt, wenn ein Produkt durch seinen Konsum nicht aufgebraucht wird. Die harte Hand des Staates ist daher gefordert, wenn Gratis-Downloads verhindert werden sollen. Dieser Eingriff des Staates in den Markt entspricht der geltenden Rechtsordnung, wird aber im digitalen Zeitalter immer schwieriger, teurer und auch normativ problematischer, bedarf er doch erheblicher Einschränkungen von Freiheitsrechten. Und wenn wir von der üblichen – auch von Urheberrechtsverfechter_innen nicht angezweifelten – Annahme ausgehen, dass Kunst und Kultur relevante Leistungen für die Gesellschaft erbringen, die sich im Stücklohn für ein Kulturprodukt nicht objektiv abbilden lassen, dann greift die Umsetzung des Urheberrechts selbst dann zu kurz, wenn sie technisch durchführbar ist. Doch das nehmen die Verfechter_innen des Urheberrechts in Kauf, um für ihre Leistung in einer marktkonformen Art bezahlt zu werden. Ohne diese Form der Bezahlung wird den Künstler_innen kein Respekt gezollt, wird ihnen gar „ins Gesicht gepinkelt.“ (Sven Regener)[4] Diese Empörung entspricht dem weit verbreiteten common sense, dass Leistung nur über marktgerechte Entlohnung anerkannt werden kann. Allerdings ignoriert dieser „common sense“ – ebenso wie die Verfechter_innen eines konsequenten Urheberrechts – dass dies in vielen Fällen – und insbesondere im Bereich der Kunst – nur unter Ausblendung zentraler soziokultureller Dynamiken möglich ist: Eine Debatte zum Urheberrecht kann nicht einfach isoliert werden von grundsätzlichen Auseinandersetzungen mit der Frage, wie Arbeit definiert und in das gesellschaftliche Selbstverständnis eingeschrieben ist.
Doch solche Überlegungen erscheinen in den Debatten um Kulturfinanzierung und Urheberrecht nicht von Interesse: Hier geht es um Geld, nicht um Relevanzen. Und Geld gerinnt damit zunehmend zur wichtigsten Messlatte für Qualität – da sich ja, wie der Hausverstand immer wieder gerne sagt, über Geschmack nicht streiten lässt, wird eben die Nachfrage in Form von Auslastungs- oder Eintrittszahlen bzw. Abspiel-, Download oder Nachdruckhäufigkeit zum primären Qualitätsindikator. Von hier ist es dann nicht mehr weit zu einem völligen Rückzug der Kulturpolitik: Wenn wir den Kultursektor über Nachfrage steuern, braucht es eigentlich nur noch Manager_innen, die im Sinne dieser Nachfrage Geldflüsse und Angebote regulieren; Kulturförderung lässt sich als Teil der Wirtschaftsförderung verstehen. Der Umbruch vom patriarchalen Wohlfahrtsstaat mit einem bürgerlichen Kulturverständnis im Sinne der Repräsentation, Bildung und Erbauung hin zum neoliberalen Marktmodell hat die Kulturszene schon lange erreicht – und damit einher geht eben auch die Transformation kulturpolitischer in kulturmanageriale Denkmuster. Allerdings verschwindet die Frage, was Kultur leisten könnte, nicht, sondern steht ganz deutlich auch zwischen den vielen Zeilen, die der Leistungsgerechtigkeit oder der Nachfrage gewidmet sind. Doch statt sie explizit zu machen, werden beständig Antworten gegeben, die suggerieren sollen, dass es keinerlei Probleme bereitet, kulturelle Produkte zu definieren – sei es nun aus dem Blickwinkel der Subventions– oder Marktkulturverfechter. Und hier stützen sich die angeblich neuen Lösungen auf sehr alte Vorstellungen von Kunst. Die Urheberrechtsinitiative geht weitgehend unhinterfragt davon aus, dass Kunst nur als eigenständiges Werk besteht und vergleicht Sampling und Mixing mit dem Dissertationsplagiat von Guttenberg[5]. Und den Propheten des Kulturinfarkts fällt abgesehen von großen Theatern und der Kulturindustrie nur die Laienkunst ein. Ein erheblicher Teil des Kunstschaffens dieses und des vergangenen Jahrhunderts scheint an diesen Avantgarden der Kulturpolitik vorbeigegangen zu sein. Doch statt über dieses Kunstverständnis zu diskutieren ist es u.E. viel wichtiger die Frage thematisieren, was Kunst und Kultur für die Gesellschaft leisten – zwar verspricht diese Frage keine schnelle Antwort – aber sie zeigt den Weg in Richtung einer kulturpolitischen Debatte, die ihren Namen verdient und gesellschaftlich relevant werden kann. Denn sie würde die Rolle, die Kultur in und für die Gesellschaft spielen soll, zum Thema von offenen Kontroversen machen und dazu kommen, unterschiedliche Auffassungen dessen, was als Bedeutung und Aufgabe der Kultur angesehen wird, miteinander zu konfrontieren - und zwar jenseits der reflexartig-beschwörenden „Kultur ist immer irgendwie gut“ versus der kalkulatorischen „nur nachgefragte Kultur ist gut“- Debatten. Anders gesagt: es bräuchte da, wo um die leistungsgemäße Vergütung bzw. die effiziente Verteilung gestritten wird, eine substantiell politische Auseinandersetzung darüber, worin die Leistung von Kultur jeweils gesehen wird – und warum sie mithin öffentlich gefördert werden SOLL – oder eben nicht: Soll sie der gesellschaftlichen Aus- und Eingrenzung dienen (und wem nützt das), soll sie dem Vergnügen dienen (und wer hat daran ein Interesse), fungiert sie als Instrument der Repräsentation (für wen), der Kapitalanlage, der Bildung, ist sie ein Spiegel, in dem sich die Gesellschaft mit sich selbst in kritischer Weise auseinander setzen kann – oder was sonst leistet sie und warum sollte sie das? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt dann auch ab, welche Art von Kultur von der Gesellschaft zu bezahlen ist und welche kulturellen Formen tatsächlich als Privatsache zu sehen sind, deren Finanzierung von der Investitionsbereitschaft Einzelner abhängen soll. Hier also müsste die kulturpolitische Diskussion ansetzen, hier müsste öffentlich verhandelt werden, wer welche Kultur für relevant hält und warum. Ansonsten ist es eine Frage der Zeit, bis die Restbestände des stillen Konsenses über die Bedeutung von Kultur für die Gesellschaft verschwunden sind. Statt einer Kulturpolitik, die im Sinne gesellschaftlicher Relevanz und nicht individueller Präferenzen umverteilt, wird dann eine populistische Version des Nachtwächtergemeinsinns angeboten, bei dem letztlich ein Rating-Denken die Produktions- und Konsumptionsdynamik orientiert Es ist klar, dass man hier in heikle Gewässer gerät: denn eine Kulturpolitik, die diese Art von Kontroversen nicht scheut, mündet notwendigerweise in konkrete Qualitätsentscheidungen über eben das, was als relevant gilt und was nicht. Und solche Entscheidungen widersprechen dem politisch korrekten Konsens über die grundsätzliche Gleichwertigkeit unterschiedlicher kultureller Ausdrucksformen und Kulturverständnisse, etwa in der sogenannten Hoch-, Popular- oder Alternativkultur. Natürlich wird auch heute schon selektiert und werden Qualitätsentscheidungen getroffen – aber bei Expert_innenberatungen hinter verschlossenen Türen. Kulturpolitische Richtungsentscheidungen, die Qualitätsfragen öffentlich diskutieren, sind eine sehr seltene Ausnahme. Das Leitmotiv lautet hingegen „viel für einige, aber immer auch ein bisschen für alle“, und geht Hand in Hand mit den Beschwörungen des Kulturauftrags und der Identität als Kulturnation. Aber nochmals: dieser schwammige Konsens verliert zunehmend an Legitimität und die Diskussionen um Subventionen, rechtliche Sonderstellungen etc. kann durchaus als Ausdruck dafür gewertet werden, dass dieser Legitimitätsverlust kompensiert werden muss: durch Argumente, die an das Gegenwartsmantra der Nachfrageorientierung und der Wettbewerbsfähigkeit anschlussfähig scheinen. Will man den Marktapologet_innen in einer solchen Umbruchssituation nicht das Feld überlassen, bedarf es zumindest des Versuchs, Funktionen von Kunst und Kultur für Gesellschaft zu definieren und damit auch Gesellschaftsbilder zu entwerfen und zu diskutieren. Dabei könnte man etwa davon ausgehen, dass Gesellschaften und ihre Organisation insgesamt offene Fragen darstellen, die nach ständiger Bearbeitung rufen. Und dass nicht Konsens, sondern Konflikt die Basis von Gesellschaftspolitik darstellt - und zwar grundlegender Konflikt um Werte und Normen. Daraus ergibt sich die Frage, was Kunst und Kultur zu diesen offenen Fragen beitragen können, das nicht in anderen gesellschaftlichen Bereichen geleistet werden kann. Das ist nun sicher nicht die Marktfähigkeit, bei der die Kunst, wie beschrieben, nicht besonders punktet. Aber kulturelle Tätigkeit kann über das Machbare, Definierbare hinausweisen. Kulturelle Tätigkeit kann Möglichkeitsräume eröffnen oder zumindest erahnen lassen. Kulturelle Tätigkeit kann mit Realitäten spielen und damit ihre Kontingenz zeigen. Das sind weitaus ungeschütztere Aktivitäten als der Verkauf von Leistungen zum Stückpreis und die Anpassung an die Nachfrage auf dem Markt. Das sind aber auch weitaus relevantere Aktivitäten.
[2] Haselbach, Dieter / Klein, Armin / Knüsel, Pius / Opitz, Stephan (2012): Der Kulturinfarkt. Von Allem zu viel und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention. München: Knaus Verlag [3] SCHELEPA, Susanne/WETZEL, Petra/WOHLFAHRT, Gerhard (2008): Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich. Wien: L&R Sozialforschung; im Netz unter http://www.bmukk.gv.at/medienpool/17401/studie_soz_lage_kuenstler_en.pdf (abgerufen am 27.4.2011). [4] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,823144,00.html |