Isola ist der Name eines Mailänder Stadtteils, der hinter dem Garibaldi-Bahnhof liegt. Der Name Isola (Insel) hat seinen Ursprung darin, dass dieser Stadtteil lange Zeit durch Bahngleise und Kanäle vom Stadtzentrum isoliert war. In der Vergangenheit war Isola alles andere als eine schlafende Stadt: die Heimat lombardischer LadenbesitzerInnen und HandwerkerInnen, in den zwanziger Jahren eine Anlaufstelle für Taschendiebe und BanditInnen, die zeitweise der Polizei den Eintritt ins Quartier verwehrten, eine unnachgiebige antifaschistische Gemeinschaft von PartisanInnen, eine Brutstätte von Vereinigungen gegen Immobilienspekulation, und in den neunziger Jahren ein Humus für Hausbesetzungen. Kennzeichnend für das Quartier sind heute noch eine gemischte und solidarische Bevölkerung, deren Zusammensetzung sich nur langsam und unregelmäßig verändert, wenig Durchgangsverkehr, sowie zwei öffentliche Parks mit einem für Mailand untypischen offenen Landschaftspanorama. In den letzten zwei Jahrzehnten gerieten die sozialen und urbanen Eigenschaften der Isola jedoch in Gefahr. Druck wurde dahingehend spürbar, das Quartier an die Standards modischer Viertel anzupassen und es mit begüterten EinwohnerInnen und NachtklubkundInnen aufzublähen. Comitato I Mille, Forum Isola, Office for Urban Transformation–out und Isola Art Center sind der vorläufig letzte Ausdruck einer radikalen Unzufriedenheit mit den sich anbahnenden Veränderungen. Diese Vereinigungen initiierten eine Reihe von effizienten und aktiven Alternativen gegen das Versagen der Institutionen, das die EinwohnerInnengemeinschaft den zunehmend verführerischen Kommunikationsmethoden der Bauhaie und deren vereinnahmenden Integrationsstrategien überließ. Im Falle von Isola wurden Techniken einer vorgetäuschten Bürgerbeteiligung an der Planung von Bauvorhaben angewandt, die man nicht anders denn als Immobilienspekulation bezeichnen kann und die den existierenden urbanen Kontext vollständig sprengen würden. Im Mittelpunkt der konfliktgeladenen Stadtentwicklungspläne für das Quartier steht eine so genannte urbane Leerstelle (Urban Void). Sie bestand aus einer halbverlassenen ehemaligen Fabrik und zwei Grundstücken, die von den EinwohnerInnenvereinigungen in öffentliche Parks umgewandelt worden waren. Die zeitgenössischen Kunstprojekte in der Isola begannen 2001 mit gezielten Aktionen und Events in eben diesen öffentlichen Räumen. 2003 wurden die 1.500 Quadratmeter des oberen Stockwerks der ehemaligen Fabrik „Stecca degli Artigiani“ besetzt, um ein offenes Kunst- und Gemeinschaftszentrum aufzubauen. Die Herausforderung für das Zentrum und die Beteiligten war zu verhindern, was fast immer passiert, wenn Museen, Kunstzentren, Galerien oder Public-Art-Projekte in ein Arbeiterviertel eingepflanzt werden: Sie werden zu Instrumenten der Gentrification. Aus diesem Bewusstsein heraus begann das Kollektiv des Zentrums aktiv gegen die Gentrification zu arbeiten. Die Kunstprojekte wurden mit der Oppositionsbewegung gegen die Stadtentwicklungspläne und mit der Ausarbeitung von Gegenvorschlägen der EinwohnerInnenorganisationen verbunden. In einer Optik, die nicht nur „site specific“ war, sondern auch „fight specific“. Im April 2007 hat die Stadtregierung gemeinsam mit dem texanischen Multi Hines die „Stecca“ geräumt. Isola Art Center, die HandwerkerInnen und die anderen Vereinigungen wurden ausgesperrt, und gleich danach begann die Zerstörung des Gebäudes. Ziel der Operation war es, die Parks und das Industriegebäude in den Privatbesitz der multinationalen Baufirma zu überführen und dort Bauten von über 90.000 Kubikmetern zu errichten. Der jüngste Plan des Boeri-Studios für das Gelände umfasst unterirdische Parkplätze, Luxuswohnungen, Bürogebäude. Zwei mit Bäumchen bestückte Hochhäuser, zynisch „vertikaler Wald“ getauft, sollen an Stelle der Parks errichtet werden. Dieser Komplex kommt noch zu den 30.000 Kubikmetern eines Gebäudekomplexes mit Parkplätzen, Büros und einer Shopping Mall hinzu, die von der italienischen Ligresti-Gruppe[1] gebaut werden soll. Das ganze Bauprojekt wird in den Medien unter dem Label „Öko-Quartier“ gepriesen, mit dem Ziel, öffentliche Zustimmung für die Elimination des öffentlichen Raumes zu erheischen. Außer Stefano Boeri, der auch Architekturprojekte in La Maddalena, Sardinien für den nächsten G8-Gipfel koordiniert[2], hat Hines zwei amerikanischen Architekten Bauaufträge für die Parks gegeben: Mc Donough für ein so genanntes öko-kompatibles Bürogebäude[3] und Lucien Lagrange aus Chicago für Luxuswohnungen[4]. Das ganze Immobilienprojekt kann man getrost als „Öko-Gentrification“[5] bezeichnen. Es handelt sich um eine hinterlistige Form der „Top-Down“ Stadtplanung, welche die Wünsche und Forderungen nach Grünanlagen in modische Slogans pervertiert, und die verheerenden Auswirkungen auf die alteingesessene Bevölkerung der Unter- und Mittelschicht mystifiziert. Auswirkungen, die Saskia Sassen treffend mit folgenden Worten kommentiert hat: „Zuviel Ausgrenzung, zuviel Macht, die die Schwächsten vertreibt“.[6] Tatsächlich sind die ersten, die aus dem Quartier hinausgedrängt wurden, die HandwerkerInnen, die ihre Werkstätten in der „Stecca“ verloren haben, sowie mehrere Obdachlose, welche in dem Gebäude Unterschlupf gefunden hatten. Aber das ist erst der Anfang: Es wird negative wirtschaftliche Auswirkungen auf das lokale Netzwerk von kleinen Läden geben, die der Konkurrenz eines Einkaufszentrums ausgesetzt werden sollen. Und es wird soziale Auswirkungen geben: Durch die Ankunft einer neuen Klasse von wohlhabenden WohnungseigentümerInnen, die durch den Bau von Luxuswohnungen angezogen werden, wird die soziale Struktur des Viertels sich drastisch verändern. Die Baufirmen und die politisch rechte Stadtregierung hofften, die Opposition zum Schweigen zu bringen, in dem sie das Fabrikgebäude abrissen und die Parkanlagen absperrten. Aber acht Jahre gemeinsamen Kampfes zur Verteidigung des öffentlichen Raums haben eine starke Gemeinschaft zusammengeschweißt. Isola Art Center organisiert weiterhin Ausstellungen, Vorträge, Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen und in öffentlichen und privaten Räumen im Stadtteil, welche die Projekte aus Solidarität aufnehmen: Läden, ein Buchladen, eine kulturelle Vereinigung, ein Restaurant... Das Zentrum benutzt auch die Rollläden von zahlreichen Läden und Büros im Quartier als Ausstellungsfläche, und sucht nach weiteren alternativen Orten für soziale Aktivitäten in der Nachbarschaft. Das Resultat ist ein obdachloses Kunstzentrum neuen Typs. Im Januar 2009 stoppten die Gerichte den Bau von Ligrestis Einkaufszentrum zum zweiten Mal und beschlagnahmten die Baustelle. Andere Richter werden nächstens über mehrere andere von den Einwohnerkomitees angestrengte Gerichtsverfahren zu entscheiden haben, die eventuell sämtliche Bauvorhaben im Garibaldi-Repubblica Bereich stoppen könnten. Der Ausgang des Konflikts ist also alles andere als entschieden. [1] Salvatore Ligresti wurde 1992 wegen Korruptionsaffären zu zwei Jahren Haft verurteilt. Heute ist er immer noch der wichtigste Bauunternehmer Mailands. Er ist an fast allen Bauvorhaben für die internationale Expo 2015 in Mailand beteiligt und baut auch im Kontext des G8 auf La Maddalena. (siehe Fußnote 2) [2] Stefano Boeri: „Ich bin jetzt hier wegen der
Projekte der Umwandlung des Militärarsenals für den G8-Gipfel (…). Gemeinsam mit
zwei italienischen Kollegen koordiniere ich eine Gruppe von etwa 80 jungen
Architekten, die mehrheitlich aus Sardinien und La Maddalena stammen. Es
handelt sich um ein großes Planungslaboratorium.“ [3] Auf dem Rendering des Gebäudes figuriert neben der
Schrift Isola das Logo der Luxusfirma Bulgari. [4] Lucien Lagrange präsentiert sich auf seiner Homepage als Architekt für die Steinreichen („filthy rich“). Siehe www.lucienlagrange.com [5] Der Ausdruck stammt von Vasif Kortun [6] Saskia Sassen: Antwort auf eine Frage betreffend die Urbanisierungspläne für das Isola-Viertel in der Beilage „D“ der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ vom 7. Juli 2007.
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