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02 2009
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(Sich selbst) zerstören, heißt erschaffen …

Girls in Revolt

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Den Abend des 6. Dezember werden wir nicht so leicht vergessen.  Nicht dass die Ermordung von Alexis unvorstellbar gewesen wäre. Die staatliche Gewalt ist, trotz ihrer Bemühungen sich über andere, produktivere Formen von Herrschaft zu begründen, dazu verdammt, immer wieder auf eine archetypische und verlustreiche Form von Gewalt zurückzukommen. Denn im Inneren ihrer Struktur erhält sie einen Parastaat, der sich den Weisungen der modernen Disziplin, Überwachung und Kontrolle der Körper nicht beugt, sondern sich für die Zerstörung des widerspenstigen Körpers entscheidet und den politischen Preis für eine solche Wahl bezahlt.


Ruft ein Polizist: „He, du!“, so ist das Subjekt, an das sich die Weisung richtet und das seinen Körper, dem Zuruf des Polizisten folgend, der Macht zuwendet, per se unschuldig. Das Subjekt antwortet als Produkt der Macht auf die Stimme, die es anruft. In dem Moment, in dem sich ein Subjekt diesem Anruf nicht unterwirft, sondern sich widersetzt – selbst wenn dieser Moment des Ungehorsams auch noch so unscheinbar ist, selbst wenn das Subjekt keinen Molotowcocktail, sondern nur eine Plastikflasche auf den Wagen des Polizisten geworfen hat –, in diesem Moment verliert die Macht ihre Bedeutung und wird zu etwas anderen: Hier findet eine Übertretung statt, die in Ordnung gebracht werden muss. Wird ein Fascho-Polizist in seinem männlichen Stolz angegriffen, kann er bis zum Mord gehen, um – wie er selbst behauptet – seine Kinder und seine Familie zu schützen. Die moralische Ordnung und die männliche Herrschaft – oder anders gesagt, die signifikanteste Form symbolischer und materieller Gewalt, die durch ein durch Regime geschlechtlicher Differenz eingesetzt werden – haben die Ermordung von Alexis möglich gemacht. Sie bildeten den Rahmen für die Ermordung von Alexis und die Produktion von „Wahrheit“, die dann Realität wurde.


Mit dieser Ermordung, mit diesem tragischen Tod, der jedem Leben, das sich in seinem Schatten bestimmt, Sinn verleiht, wurde die Revolte Realität: diese undenkbare und unvorhergesehene Umwälzung der bestehenden sozialen Ordnung, der zersplitterten Raum-Zeit, der entstrukturierten Strukturen sowie der Verschiebung der Grenze zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen. Es handelt sich um einen Moment spielerischer Freude, einen Augenblick voller Angst, Leidenschaft und Zorn, voller Verwirrung und schmerzlichem Bewusstsein, einen Augenblick voller Verheißungen. Und nichtsdestoweniger ein Moment, der es vielleicht mit der Angst vor sich selbst zu tun kriegt und die Automatismen bewahrt, die ihn hervorgebracht haben; oder ein Moment, der in der Lage ist, sich permanent selbst zu verneinen, um in jedem Augenblick zu etwas anderem zu werden als das, was er gerade war; ein Moment, der zu verhindern weiss, dass er in einem Determinismus von in der Normalität erstickten Revolten endet, die, indem sie für ihre eigene Sache eintraten, eine andere Form von Macht verursachten.


Wie wurde diese Revolte möglich? Welches Recht der Revoltierenden wurde in diesem Augenblick, an diesem Ort und diesem ermordeten Körper zugestanden? Wie hat sich dieses Symbol sozialisiert? Alexis war „einer von uns“; er war nicht der Andere, kein Fremder und kein Migrant. Die Schüler und SchülerInnen identifizierten sich mit ihm; die Mütter fürchteten angesichts dieses toten Körpers, irgendwann ihre eigenen Kinder beweinen zu müssen; die offiziellen Stimmen des Regimes erklärten ihn zum Nationalhelden: Der Körper dieses fünfzehnjährigen Jungen machte Sinn; sein Leben war es wert, gelebt zu werden; die Unterbrechung dieses Lebens war ein Angriff auf die öffentliche Sphäre. Darum war die Trauer um Alexis möglich, sie war beinahe geboten. Die Kugel hat sich gegen eine Gemeinschaft gewendet, mit der wir, die Revoltierenden, uns überhaupt nicht identifizieren, nicht mehr übrigens als auch Alexis. Aber viele von uns haben das Privileg dazu zu gehören, da die anderen uns als zu ihnen gehörend anerkennen. Die Geschichte von Alexis wird vom Ende her neu geschrieben werden: Er war ein guter Junge, sagen sie. Die nicht vorhersehbare Revolte wurde durch die Verfehlungen einer Macht möglich, die darüber entscheidet, welche Körper im sozialen Netz der Kräfteverhältnisse zählen. Die Revolte, diese Hymne an die soziale Anormalität, ist ein Produkt der Normalität. Sie ist die Rache für „unseren eigenen“ Körper, „unseren“ sozialen Körper, der vernichtet wurde. Diese Kugel hat sich die gesamte Gesellschaft getroffen. Sie hat jedem bürgerlichen Demokraten, der möchte, dass der Staat und seine Organe seine eigene Sicherheit widerspiegeln, eine Wunde zugefügt. Sie war eine Kriegserklärung des Staats an die Gesellschaft. Der Pakt wurde gebrochen: Es gibt keinen Konsens mehr. Der Widerstand, die ethische und politische Handlung, wurde in dem Moment möglich und nachvollziehbar, gerecht und sichtbar, in dem diese Handlung unter die Kriterien und Termini des Rechts der herrschenden symbolischen Ordnung fiel, welche die soziale Kohäsion garantieren.  


Dieser Ausgangspunkt setzt jedoch die Richtigkeit der Revolte nicht außer Kraft. Der herrschende Diskurs, die Macht zu benennen und allem Form und Sinn zu verleihen, das Feld der herrschenden Bedeutungen, von dem aus die sozialen Kategorien die hierarchisierten sozialen Beziehungen geregelt werden, hat die „Vermummten“ bereits aus der Gemeinschaft verstoßen. Sie wurden an die gefährliche Grenze ihrer Ränder verbannt, um zu demonstrieren, wo Ungehorsam beginnt und wo er endet. Widerstand ja, aber nicht auf diese Weise, sagen sie, das ist gefährlich! Was uns die soziale Legitimation lehrt und was wir gleich zu Beginn unseres Wegs gelernt haben, ist, dass wir, selbst wenn wir im Netz der Macht gefangen und alles in allem ihr Produkt sind, doch in ihrem Inneren und gegen sie gerichtet sind. Wir sind, was wir tun, um zu ändern, was wir sind. Wir wollen, dass sich dieser historische Moment mit unseren eigenen Inhalten füllt und nicht mit jenen Bedeutungen, von denen er wohl umgeben bleibt und von denen er sich nicht in einer einzigen Nacht freimachen kann. Man kann die Grenze zwischen Unterwerfung und autonomer Aktion überdies nicht ungestraft überwinden: Wenn nämlich der Revoltierende seine Männlichkeit mobilisieren muss, um den Polizisten zu bekämpfen, dann sollte er dies nichtsdestoweniger zugleich in Frage stellen, denn das ist die Macht, durch die er den Polizisten bekämpft. Es ist diese Ambivalenz im Herzen unserer Subjektivität, diese Spaltung, die uns aufreibt bzw. uns aufreiben muss und die die ethische Größe ausmacht, die sich an den Rändern des Getöses der Revolte in uns und um uns herum während all dieser ruhigen Abende abspielt, an denen man sich fragt, was hier vor sich geht, was schlecht gelaufen ist und warum es so ruhig ist.  


Nichts kann abseits des ihm zugewiesenen Sinns existieren. Die Strategien des Widerstands können sich in Machtstrategien verwandeln. Das Chaos kann die Machtstrukturen restrukturieren, wenn wir uns – während wir die Welt bekämpfen – nicht selbst bekämpfen, so wie wir ins Leben gerufen wurden, im Gewebe der ethisch-politischen Verbindungen innerhalb derer man „man selbst“ wird, wenn wir den Macho „abgeben“, der die Kontrolle verliert und vom „Affekt“ getrieben erblindet; wenn unsere Positionen, die sich als Herde der Macht herauskristallisieren, starr werden.

Revoltierende junge Frauen, 18. Dezember 2008.

(Übersetzung folgt dem französischen Text)