Übersetzung: Gerald Raunig, Redaktion Stefan Nowotny
Sehr wenige von uns sind immun gegen die Heiterkeit dieser Tage. Linke FreundInnen schreiben mir, dass sie etwas Ähnliches wie „Erlösung“ verspüren, dass „uns das Land zurückgegeben wurde“ oder dass „wir endlich einen von uns im Weißen Haus haben“. Wie sie finde ich mich natürlich auch den ganzen Tag von Zweifel und Erregung überwältigt, da allein der Gedanke, das Regime von George Bush hinter uns zu haben, eine enorme Erleichterung ist. Und der Gedanke an Obama, einen besonnenen und progressiven schwarzen Kandidaten, verschiebt die historische Grundlage, wir fühlen diesen Bruch, wie er neues Terrain erzeugt. Aber versuchen wir doch, dieses verschobene Terrain genau zu bedenken, auch wenn wir seine Konturen zum jetzigen Zeitpunkt nicht genau ausmachen können. Die Wahl von Barack Obama ist in einer Weise historisch signifikant, die noch genau geprüft werden muss, aber sie ist keine Erlösung: sie kann keine sein, und wenn wir die übersteigerten Identifikationsweisen billigen, die er verwendet („wir sind alle eine Einheit“) oder die wir verwenden („Er ist einer von uns“), riskieren wir, darauf zu vertrauen, dass dieser politische Moment die Antagonismen überwinden kann, die konstitutiv sind für das politische Leben, vor allem das politische Leben heute. Es gab immer gute Gründe, die „nationale Einheit“ gerade nicht als Ideal zu begrüßen, und gegenüber jedweder absoluter und unhinterfragter Identifikation mit einem politischen Führer Misstrauen zu hegen. Immerhin stützte sich der Faschismus zum Teil auf jene unhinterfragte Identifikation, und die Republikaner nehmen denselben Ansatz bei der Organisierung politischer Affekte in Anspruch, wenn z.B. Elizabeth Dole auf ihr Publikum hinaus sieht und sagt: „Ich liebe jeden einzelnen von euch.“
Noch wichtiger wird das Nachdenken über die Politik der überschwänglichen Identifikation mit der Wahl Obamas, wenn wir bedenken, dass die Unterstützung für Obama mit der Unterstützung konservativer Anliegen zusammenfiel. In einer gewissen Weise erklärt das seinen „grenzüberschreitenden“ Erfolg. In Kalifornien gewann er mit 60 Prozent der Stimmen, und zugleich war ein signifikanter Anteil derjenigen, die ihn wählten, auch gegen die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen (52%). Wie sollen wir diese offensichtliche Diskrepanz verstehen? Rufen wir uns zunächst in Erinnerung, dass Obama das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehen nicht explizit unterstützt hat. Darüber hinaus haben die Republikaner, wie Wendy Brown geltend gemacht hat, verstehen müssen, dass die WählerInnen durch “moralische” Themen nicht mehr derart bewegt werden können wie bei früheren Wahlen; die Gründe, warum die Leute Obama gewählt haben, scheinen vorrangig ökonomische, und ihre Argumentation scheint eher von neoliberalem Vernunftdenken geprägt als von religiösen Anliegen. Das ist ganz klar einer der Gründe dafür, warum die öffentliche Funktion, die Sarah Palin zugeordnet wurde, nämlich die Mehrheit der WählerInnen hin zu „moralischen“ Themen zu bewegen, am Ende ihren Zweck verfehlte. Wenn aber „moralische“ Themen wie die Kontrolle des Waffenbesitzes, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und les-bi-schwule Rechte nicht derart ausschlaggebend waren wie früher, liegt das vielleicht daran, dass sie in einer abgesonderten Abteilung des politischen Geistes gedeihen. Mit anderen Worten sehen wir uns neuen Anordnungen der politischen Anschauung gegenüber, die es möglich machen, zugleich offensichtlich widersprüchliche Ansichten zu vertreten: man kann zum Beispiel Obama in gewissen Aspekten nicht zustimmen, und ihn dennoch gewählt haben. Das stach besonders beim Auftauchen des gegenläufigen Bradley-Effekts ins Auge, als WählerInnen explizit ihren eigenen Rassismus zugeben konnten, aber sagten, sie würden dennoch Obama wählen. Anekdoten aus diesem Feld förderten Positionen wie die folgende zutage: „Ich weiß, dass Obama Moslem und Terrorist ist, ich werde ihn aber trotzdem wählen; er ist wahrscheinlich besser für die Wirtschaft.“ Solche WählerInnen können ihren Rassismus verteidigen und Obama wählen, sie bewahren ihre widersprüchlichen Anschauungen, ohne sie auflösen zu müssen.
Gemeinsam mit ausgeprägten ökonomischen Motiven sind in den Wahlergebnissen auch weniger empirisch bestimmbare Faktoren ins Spiel gekommen. Wir dürfen die Kraft der Disidentifikation in dieser Wahl nicht unterschätzen, ein Gefühl der Abscheu darüber, dass George W. Bush die Vereinigten Staaten dem Rest der Welt gegenüber “repräsentiert” hat, ein Gefühl der Scham über unsere Praktiken der Folter und der illegalen Gefängnisse, ein Gefühl des Ekels darüber, dass wir auf dem Boden falscher Behauptungen Krieg geführt und rassistische Anschauungen über den Islam verbreitet haben, ein Gefühl der Bestürzung und des Entsetzens darüber, dass die extreme ökonomische Deregulierung zu einer globalen Wirtschaftkrise geführt hat. Wurde Obama trotz oder wegen seiner „Rasse“ am Ende als Repräsentant der Nation vorgezogen? In Erfüllung dieser repräsentativen Funktion ist er zugleich schwarz und nicht-schwarz (einige sagen „nicht schwarz genug“, und andere sagen „zu schwarz“), und, infolgedessen kann er bei WählerInnen Anklang finden, die ihre Ambivalenz in dieser Sache nicht nur keineswegs auflösen können, sondern dies auch gar nicht wollen. Die öffentliche Figur, die der Bevölkerung erlaubt, ihre Ambivalenz zu erhalten und zu maskieren, erscheint nichtsdestoweniger als Figur der „Einheit“: das ist wahrlich eine ideologische Funktion. Solche Momente sind äußerst imaginär, aber deswegen keineswegs ohne politische Kraft.
Je näher die Wahl kam, desto mehr verstärkte sich der Fokus auf die Person Obama: sein Ernst, seine Besonnenheit, seine Fähigkeit, nicht die Beherrschung zu verlieren, seine Art, angesichts für ihn nachteiliger Angriffe und schmutziger politischer Rhetorik einen gewissen Gleichmut zu entwickeln, sein Versprechen, eine Spielart der Nation wiederherzustellen, die ihre gegenwärtige Schande überwinden würde. Freilich ist das Versprechen verlockend, aber was, wenn Obamas Umarmung zum Glauben führt, dass wir jede Uneinigkeit überwinden könnten, dass Einheit wirklich möglich ist? Wie gut steht die Chance, dass wir am Ende eine in gewissem Ausmaß unvermeidbare Enttäuschung erleben werden, wenn sich die Fehlbarkeit dieses charismatischen Führers zeigt, seine Bereitschaft zum Kompromiss, vielleicht sogar dazu, Minderheiten auszuverkaufen? Er hat das in der Tat bereits in gewisser Weise getan, aber viele von uns haben diese Bedenken „beiseite gestellt“, um die extreme Nicht-Ambivalenz des Moments zu genießen, während wir einen kritiklosen Überschwang riskierten, auch wenn wir es besser wissen müssten. Immerhin ist Obama wohl kaum ein Linker, ungeachtet der Zuordnung zum „Sozialismus“, die seine konservativen OpponentInnen unterstellten. In welcher Weise werden seine Handlungen durch Parteipolitik, Wirtschaftsinteressen und Staatsmacht eingeschränkt sein; in welcher Weise wurden sie schon kompromittiert? Wenn wir während dieser Präsidentschaft versuchen, den Sinn für Dissonanz aufzugeben, müssen wir jede kritische Politik zugunsten eines Überschwangs über Bord werfen, dessen phantasmatische Dimensionen sich als folgenreich erweisen werden. Vielleicht können wir diesen phantasmatischen Moment nicht vermeiden, aber bedenken wir, wie schnell er vorüber geht. Wenn erklärte RassistInnen gesagt haben, „ ich weiß, er ist Moslem und Terrorist, aber ich werde ihn allemal wählen“, gibt es sicherlich auch Leute in der Linken, die sagen, „ich weiß, er hat les-bi-schwule Rechte und Palästina ausverkauft, aber er ist noch immer unsere Erlösung.“ Ich weiß es sehr gut, aber dennoch: das ist die klassische Formulierung der Verleugnung. Mit welchen Mitteln bewahren und maskieren wir widersprüchliche Anschauungen dieser Art? Und zu welchem politischem Preis?
Ohne Zweifel wird Obamas Erfolg signifikante Auswirkungen
auf den wirtschaftlichen Kurs der Nation haben, und wir können wohl davon
ausgehen, dass wir neue Prinzipien für eine wirtschaftliche Regulierung
erleben werden und für einen ökonomischen Ansatz, der sozialdemokratischen
Formen in Europa ähnlich ist; in der Außenpolitik werden wir zweifellos eine
Erneuerung der multilateralen Beziehungen erleben, die Umkehrung des fatalen
Trends zur Zerstörung multilateraler Übereinkommen, die die Bush-Administration
vollzogen hat. Und es wird ohne Zweifel auch eine allgemeinere liberale Tendenz
in sozialen Angelegenheiten geben, obwohl es wichtig ist, daran zu erinnern,
dass Obama nicht die allgemeine Gesundheitsversorgung unterstützt hat, und dass
er es unterlassen hat, das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehen explizit zu
unterstützen. Schließlich gibt es nicht viel Grund zur Hoffnung, dass er eine gerechte
Politik der Vereinigten Staaten im Nahen Osten formulieren wird, obwohl es
natürlich eine Erleichterung ist, dass er Rashid Khalidi kennt.
Die unbestreitbare Bedeutung seiner Wahl liegt klar in der Überwindung der
Schranken, die implizit dem Aufstieg von Afro-AmerikanerInnen auferlegt sind;
sie hat junge Afro-AmerikanerInnen inspiriert und ergriffen, und sie wird das
weiter tun; sie hat zugleich einen Wandel in der Selbstdefinition der
Vereinigten Staaten herbeigeführt. Wenn die Wahl Obamas den Willen der Mehrheit
der WählerInnen zu verstehen gibt, von diesem Mann „repräsentiert“ zu werden,
dann folgt daraus, dass neu bestimmt wird, wer „wir“ sind: wir sind eine Nation
vieler „Rassen“, gemischter „Rassen“; und er ermöglicht uns zu erkennen, wer
wir geworden sind und was wir noch sein müssen, und so scheint
eine bestimmte Trennung zwischen der repräsentativen Funktion der
Präsidentschaft und der repräsentierten Bevölkerung überwunden. Das ist freilich ein ermutigender
Moment. Aber kann und soll er andauern?
Welche Folgen wird diese fast messianische Erwartung haben, die in diesen Mann gesetzt wird? Damit diese Präsidentschaft erfolgreich wird, muss sie auch zu einiger Enttäuschung führen, und auch dazu, die Enttäuschung zu überleben: Der Mann wird menschlich werden, er wird sich als weniger mächtig erweisen, als wir uns vielleicht wünschen würden, und die Politik wird aufhören, eine Feier ohne Ambivalenz und ohne Vorsicht zu sein; tatsächlich wird sich die Politik weniger als messianische Erfahrung denn als ein Schauplatz für harte Debatte, öffentliche Kritik und notwendigen Antagonismus erweisen. Obamas Wahl heißt, dass das Terrain von Debatte und Kampf verschoben wurde, und es ist freilich ein besseres Terrain. Aber es ist nicht das Ende des Kampfes, und wir würden sehr dumm sein, es als solches zu betrachten, und sei es nur vorübergehend. Wir werden zweifellos mit verschiedenen Handlungen, die er vornimmt oder gerade nicht vornimmt, übereinstimmen und nicht übereinstimmen. Wenn die anfängliche Erwartung darin besteht, dass er die „Erlösung“ ist und sein wird, dann werden wir ihn gnadenlos bestrafen, wenn er uns im Stich lässt (oder wir werden Wege finden, diese Enttäuschung zu verleugnen oder zu verdrängen, um die Erfahrung der Einheit und der nicht-ambivalenten Liebe am Leben zu halten).
Soll eine folgenreiche und dramatische Enttäuschung abgewendet werden, dann muss er schnell und richtig handeln. Vielleicht besteht der einzige Weg, um einen „Crash“ zu vermeiden - eine Enttäuschung ernst zu nehmender Ausmaße, die sich politisch gegen ihn wenden würde - darin, dass er in den ersten zwei Monaten seiner Präsidentschaft entschiedene Handlungen setzt. Die erste würde darin bestehen, Guantanamo zu schließen und Wege zu finden, die Fälle der Festgehaltenen auf legitime Gerichte zu verlegen; die zweite wäre, einen Plan für den Abzug der Truppen aus dem Irak zu schmieden und damit zu beginnen, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Die dritte Aktion wäre, seine kriegerischen Anmerkungen über die Eskalation des Kriegs in Afghanistan zurückzunehmen und diplomatische, multilaterale Lösungen auf diesem Schauplatz zu verfolgen. Wenn er es unterlässt, diese Schritte zu setzen, wird seine Unterstützung in der Linken deutlich zurückgehen, und wir werden die neuerliche Einführung der Trennung zwischen den liberalen Falken und der Anti-Kriegsbewegung erleben. Wenn er Leute wie Lawrence Summers in Schlüsselpositionen seines Kabinetts aufnimmt oder die verfehlte Wirtschaftspolitik von Clinton und Bush weiterführt, dann wird der Messias irgendwann als falscher Prophet geschmäht werden. An Stelle eines unmöglichen Versprechens brauchen wir eine Reihe konkreter Aktionen, die die schreckliche Aufhebung der Gerechtigkeit durch das Bush-Regime umkehrt; alles, was weniger wäre, führte zu einer dramatischen und folgenreichen Desillusionierung. Die Frage ist, welches Maß an Ernüchterung nötig ist, um eine kritische Politik wieder zu erfinden, und welche dramatischere Form der Desillusionierung uns zurückbringt zum heftigen politischen Zynismus der letzen Jahre. Eine gewisse Mäßigung der Illusion ist notwendig, damit wir uns vielleicht daran erinnern, dass Politik weniger die Person und das unmögliche und schöne Versprechen betrifft, das er repräsentiert, als die konkreten politischen Veränderungen, die damit beginnen, im Lauf der Zeit und unter Schwierigkeiten die Bedingungen für eine größere Gerechtigkeit zustande zu bringen.